
Marissa Nadler - July
Bella Union / [PIAS] Cooperative / Rough TradeVÖ: 07.02.2014
Eiskalter Engel
Ein guter Refrain ist selten. Ein Refrain, der einem schon beim ersten Hören wohlige Schauer über den Rücken jagt, noch viel seltener. Und doch gibt es sie, jene Lieder, deren Kehrvers sich aus unerfindlichen Gründen schon beim Erstkontakt ins Gedächtnis brennt. Lieder, die rasch zu Begleitern werden, in Lebenslagen, die bisher keinen Soundtrack hatten. Lieder wie "Drive" von Marissa Nadler etwa. "Still remember all the words / To every song you ever heard / Drive, drive, drive" singt sie, nur von Akustik- und Pedalsteelgitarre begleitet. Und das Herz beginnt, schneller zu schlagen, während Tränen in die Augen schießen. Es geht ums Weglassen. Was bleibt, ist ein nacktes Gerüst. Ein verdammt schönes, nacktes Gerüst.
Von diesen entkleideten Schönheiten gibt es auf "July", dem sechsten Album der amerikanischen Songwriterin, einige zu entdecken. Wobei der sommerlich anmutende Titel nichts anderes als eine gezielte Irreführung des Konsumenten ist: Die beklommene, beinahe schon depressive Stimmung, die sich durch die Songs zieht, nimmt den Hörer gefangen. Nur selten verirrt sich ein Schlaginstrument in Nadlers spukige Miniaturen, die in erster Linie von der hauchig-hohen Stimme der Sängerin und Akustikgitarren-Begleitung getragen werden. "July" ist ein Album, das Zeit einfordert, keine Musik, die mal eben nebenbei weggehört werden kann, und erst recht keine Musik, die Weghören duldet. Auch wenn der Mix an einigen Stellen ein wenig zu kratzig geraten ist, kennzeichnet das von Randall Dunn (Earth, Sunn O))), Wolves In The Throne Room) produzierte Werk ein äußerst transparenter und kristalliner Sound, in dessen Mittelpunkt Nadlers fast schon aggressives Fingerpicking steht.
Voller Widersprüchlichkeiten sind die zwischen Einfachheit und Kryptik pendelnden Texte Nadlers: "Colors on the trees change from red to green / It's a dead city, Emily" greint sie in "Dead city Emily", einer fast sechsminütigen Séance übers Werden und Vergehen. Bestimmendes Thema des Albums ist jedoch die Zweisamkeit, oder vielmehr die Unmöglichkeit derselben. So wird die Künstlerin in dem zerrissenen "Desire" ungleich direkter: "I had it all wrong / Was about to believe / You had desire for me". Dazu ein perlendes Arpeggio und unheilverkündende Geigen im Hintergrund – hier finden Intimität und Intensität zusammen. In dem nicht minder schonungslosen "Anyone else" wird sie noch drastischer: "Sometimes the night brings me back to you / And I look at the time spent wasted on you". Böse? Ja. Gänsehaut? Ebenso. Und so endet das Album konsequenterweise mit den lakonischen Worten "Maybe it's the weather / But I got nothing in my heart". Leeres Herz, kaltes Herz. Bitte bleib so, wie Du bist.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Drive
- 1923
- Anyone else
- Dead city Emily
Tracklist
- Drive
- 1923
- Firecrackers
- We are coming back
- Dead city Emily
- Was it a dream
- I've got your name
- Desire
- Anyone else
- Holiday in
- Nothing in my heart
Im Forum kommentieren
poser
2014-12-05 19:51:42
Schönes Album. Gerade jetzt im Winter entfaltet es seine volle Wirkung.
blöde frage
2014-09-09 23:31:25
warum nicht beide hören? warum so oft etwas ausschließen?
retro
2014-09-09 23:30:32
tolles album, gefällt auch live. warum lana del rey hören, wenn es marissa nadler gibt?
Derp Derp
2014-02-28 22:09:55
Ode an die Öde
öde
2014-02-27 09:24:12
Was für Wigger
0/10
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