Laibach - Spectre

Mute / GoodToGo
VÖ: 28.02.2014
Unsere Bewertung: 6/10
6/10
Eure Ø-Bewertung: 3/10
3/10

Ein Kollektivschicksal

"Kein Künstler gleicht Laibach. Das sagt auch Chris Eckman von den Walkabouts." Immerhin Letzteres wird man den Slowenen einfach mal glauben müssen – obwohl dieser Fürsprecher der Zielgruppe kaum flächendeckend bekannt sein dürfte. Doch so oder so kann man Eckman nur beipflichten: Seit über 30 Jahren verwirren, befremden und provozieren Laibach mit durch totalitaristische Überidentifikation geprägtem Kunstbegriff, grell verzerrten Versionen von Welthits, die das manipulative Potenzial der Popmusik offenlegen, und ihrem eigenen virtuellen NSK-Staat. "Spectre" ist nun das erste Studio-Lebenszeichen seit den 14 Interpretationen von Nationalhymnen auf "Volk". Schließlich gehen nicht nur in Europa derzeit viele Gespenster um – da darf das der Osteuropäer natürlich nicht fehlen.

Und alle, die Laibach schon immer als ernsthafteste Verballhornung aller Zeiten wahrgenommen haben, werden damit womöglich Probleme bekommen. Statt wie zuletzt die Mondnazi-Science-Fiction "Iron sky" zu vertonen oder Bob Dylan, The Normal und den Italo-Schmalzoni Bino zu covern, bläst das Kollektiv nebst Sängerin Mina Špiler hier nämlich zum Angriff. Und das nicht etwa auf Hörgewohnheiten oder den guten beziehungsweise schlechten Geschmack, sondern auf alles, was der Weltbevölkerung den Garaus zu machen droht: menschenverachtende Machtstrukturen, die hässliche Fratze des Kapitalismus, NSA-Spähattacken. Gut möglich also, dass "Spectre" das erste komplett ironiefreie Laibach-Album ist. Auf jeden Fall ist es aber das zugänglichste und abwechslungsreichste seit langem. Was zunächst keineswegs negativ gemeint sein soll.

Denn es ist eine Freude, wie der Auftakt "The whistleblowers" seinen Titel doppelbödig mit einer flott gepfiffenen Melodie illustriert, die sich so ungeniert wie fröhlich bei "Im Frühtau zu Berge" bedient. Dass Milan Fras dazu singt, statt teutonisch zu blöken, lässt die Intention zudem angenehm im Diffusen: der Freiheitskampf von Edward Snowden und Gesinnungsgenossen trifft auf reaktionäre Codes. Wie zum Hohn propagiert "No history" danach universelle Vernichtung und streicht die eigene Vergangenheit auf einem Industrial-Bierdeckel zusammen, und "Eurovision" setzt verblödenden Song-Contests die finstere Realität entgegen: "In the absence of war we are questioning peace / In the absence of war we all pray to police." Auch ein grimmiger Verweis auf das Album "WAT", wo es hieß "Der Krieg ist noch nicht Freiheit / Und Frieden ist für Ruhe schlecht."

Ebenfalls eher weniger gut: Zusehends übertüncht eine erschreckend simpel gestrickte Revoluzzer-Attitüde Laibachs scharfen, auf eigene wie fremde Kosten gehenden Humor. Beim kraftlosen "Americana" genauso wie beim Liebeslied "We are millions and millions are one", das maschinelles Zürnen aus dem frühen Brecher "Krvava gruda – plodna zemlja" zur Randnotiz degradiert. Die Weltverbesserer-Hymne "Walk with me" missbraucht Fras' Stimme gar als Sample-Effekt, während Špiler umso uninspirierter knödeln darf – lediglich im zackigen Electro-Boogie "Eat liver!" wirkt ihr Gesang nicht wie ein Fremdkörper. Ein Kollektivschicksal? "Existence as you know it is over", weiß der Trailer zu "Spectre", Laibach selbst heben hervor: "Wir waren schon immer direkt, nur auf eine sehr indirekte Art." Vielleicht ist also bald alles wieder beim Alten. Nur musikalisch natürlich.

(Thomas Pilgrim)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • The whistleblowers
  • Eat liver!
  • Eurovision

Tracklist

  1. The whistleblowers
  2. No history
  3. Eat liver!
  4. Americana
  5. We are millions and millions are one
  6. Eurovision
  7. Walk with me
  8. Bossanova
  9. Resistance is futile
  10. Koran
Gesamtspielzeit: 42:46 min

Im Forum kommentieren

Comfy Numb

2018-10-27 20:31:59

Laibach - Spectre (8/10)

Dieses Album ist mir in den letzten Jahren ans Herz gewachsen. Laibach haben hier ein kleines Meisterwerk abgeliefert. Unaufgeregt und trotzdem eindringlich, niemals platt.

Armin

2014-02-26 00:01:33

Wir eröffnen dann mal wieder lustig ein paar Threads zu frisch rezensierten Alben.

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