Against Me! - Transgender dysphoria blues
Xtra Mile / IndigoVÖ: 24.01.2014
Die Menschwerdung
"It's a feeling of detachment from your body and from yourself. And it's shitty, man. It's really fucking shitty."
Anfang Mai 2012. Da sitzen sie vor den Bildschirmen und gucken verstört aus der Wäsche, die Zeugen des wohl unglaublichsten Coming-outs in der amerikanischen Musikszene. Tastaturen laufen heiß. Sachen wie "Wow, das ist ja voll krank... aber auch mutig” schrieben sie. Tonnenweise Kommentare bei Twitter, Facebook, in Musikblogs und -foren – zumeist schwarz oder weiß. Eine Art Spalier 2.0, bestehend aus Halbsätzen und Fragezeichen. Gestern hieß der Against-Me!-Frontmann noch Tom Gabel. Es ist immer noch dieselbe Person, (aber) sie heißt heute Laura Jane Grace. Und schon hatte die ach so aufgeklärt und tolerant erzogene, westliche Gesellschaft an einem Genderthema zu knabbern – wieder einmal.
"I'm going to have embarrassing moments, and that won't be fun. But that's part of what talking to you is about – is hoping people will understand, and hoping they'll be fairly kind."
Dabei hätte der Paukenschlag durchaus sanfter ausfallen können. Immerhin hatte die heutige Laura Jane Grace ihre Transsexualität in Songs wie "Searching for a former clarity" und "The Ocean" bereits Jahre zuvor angedeutet. Und nun? Ob geschockte, abfällige oder positive Reaktionen – sämtliche Erfahrungen während und nach einem Coming-out wie diesem wühlen auf. Grace begegnet der inneren und äußeren Aufruhr nun offensiv. Indem sie die Reaktionen, aber auch die persönliche, über quälend lange Zeit aufrecht erhaltene Selbstleugnung reflektiert, analysiert – und zum zentralen Thema dieses Albums macht: "Transgender dysphoria blues".
Mit Stakkato-Drums und mindestens einem gereckten Mittelfinger packt der Titelsong die Problematik gleich mal beim Schopfe: "You want them to see you / Like they see every other girl / They just see a faggot / They'll hold their breath not to catch the sick." Tacheles statt subtiler Botschaft. "Yet to be born, you were already dead / You should've been gone from here years ago / You should be living a different life", blickt das tolle "True trans soul rebel" melancholisch zurück, bevor "Paralytic states" Graces quälenden Kampf mit den gesellschaftlichen Konventionen verdeutlicht: "All of my life / Wishing I was one of them." Bei all der musikalischen Euphorie, die diese knappe halbe Stunde innehat, kann man sich dennoch kaum vorstellen, wie sehr diese Songs wirklich befreien müssen. Das nachdrückliche "Dead friend”" und der angepisste Rausschmeißer "Black me out" ziehen der Vergangenheit dann auch endgültig den Stecker: "I want to piss on the walls of your house / I don't want to feel that weak and insecure / As if I was your fucking whore". Unterdrückung? Ausradiert.
Metaphorische Poesie und verschrobene Aussagen sind Against Me! nach wie vor fremd – weiblicher Gesang ebenso. Wer plötzlich große Unterschiede im Vergleich zur Gabel‘schen Stimmlage erwartet hat, wird enttäuscht. Dafür überraschen Against Me! musikalisch mit Ausflügen zu ihren Wurzeln, wie etwa dem 118-Sekunden-Brecher "Drinking with the jocks" oder der soundtechnisch wie thematisch provokanten Ohrfeige "Osama Bin Laden as the Crucified Christ". Wo die beiden Vorgänger stellenweise etwas lahmten, sucht diese Platte schnörkellos den Weg nach vorne. "Transgender dysphoria blues" ist nicht nur die Menschwerdung eines bislang Toten sowie das dicke "Fuck you!" an den Abgesang einer Punkrockband – sondern vielmehr ein Faustschlag in Richtung Homophobie, konservativer Traditionen und festgefahrener Intoleranz. Und die existiert wohl sogar unter Punkrockern.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Transgender dysphoria blues
- True trans soul rebel
- Drinking with the jocks
- Black me out
Tracklist
- Transgender dysphoria blues
- True trans soul rebel
- Unconditional love
- Drinking with the jocks
- Osama Bin Laden as the Crucified Christ
- FUCKMYLIFE666
- Dead friend
- Two coffins
- Paralytic states
- Black me out
Im Forum kommentieren
Affengitarre
2024-02-27 18:31:18
"Unconditional Love" will mir seit Wochen nicht mehr aus dem Kopf gehen. Der klingt zwar eigentlich wie ein Überbleibsel aus Green Days "Dookie", aber da war letztere Band immerhin noch verdammt gut.
Affengitarre
2023-05-26 14:20:53
Ja, hier hat die Band wieder Feuer! Mehr Energie, mehr Persönlichkeit, tolle Songs und wichtige Themen. Atom Willard ist klasse an den Drums und hilft dabei, das Energielevel hochzuhalten. Ich wünschte nur, das Album wäre nicht so verflucht laut. So clippt es doch leider ziemlich viel und Dynamik ist kaum vorhanden. Dennoch ein sehr schönes Album und locker ihr bestes seit "Searching for a former clarity".
Highlights: "Transgender Dysphoria Blues", "Drinking With the Jocks", "Dead Friend", "Two Coffins"
eric
2014-08-14 12:04:36
Jau, auch für mich nach wie vor eine Überraschung, die Platte. Macht mehr Spaß als ihre beiden Vorgänger zusammen. Im November dann auch die Tour. :)
Dan
2014-08-08 20:06:21
Interview mit Laura ;)
http://www.subtext.at/2014/08/nicht-grenzen-niederreisst/
whitenoise
2014-02-16 15:00:34
Hatte erst auch gedacht, dass es sich um einen unberechtigten Hype handelt. Wie falsch, wie falsch...
http://paul.shure.me/review-against-me-transgender-dysphoria-blues/
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