
Poliça - Shulamith
Memphis Industries / IndigoVÖ: 18.10.2013
Der Wolkenbruch
Der unbarmherzige und unerwartete Regen brach über die Menschenmenge hinein, die sich jäh aufmachte und Schutz unter den Dächern der zahlreichen Büdchen suchte, an denen man Falafel, Pizza oder Fischbrötchen kaufen konnte. Plötzlich standen nur noch ein paar Dutzend Hartgesottene vor der Bühne, auf der Poliça soeben gegen massive Tonprobleme anzukämpfen versuchten. Der diesjährige Dockville-Auftritt des Quintetts aus Minneapolis begann also schlechtestmöglich, entwickelte sich in der Folge dann allerdings doch noch zu einem ätherischen Triumphzug, an dessen Ende Poliça auch Stücke ihres neuen Albums "Shulamith" spielen sollten. Knapp eineinhalb Jahre nach dem meisterhaften Debüt "Give you the ghost" haben die Mannen um Frontfrau Channy Leaneagh zwölf neue Stücke im Köcher und zögern nicht, sie uns feierlich zu überreichen. Widrigkeiten wie auf dem schönen Festival in Hamburg sind sie ja eigentlich gar nicht mehr gewöhnt: Seitdem Bon-Iver-Mastermind Justin Vernon Poliça als seine Lieblingsband auswies, flutschte es nur so für Leaneagh und Konsorten. "Give you the ghost" stand in der Konsequenz in sämtlichen Bestenlisten 2012. Nicht unbegründet, erwies sich ihre Version elektronischen Indiepops doch als eine der zartesten Versuchungen seit es Electro-Pop gibt.
Nun also das erste Album nach dem Hype und es fällt recht schnell ins Auge, dass es Poliça dem Hörer nicht all zu leicht machen wollen. Ihrem Sound bleiben die fünf US-Amerikaner zwar prinzipiell treu, doch ihr hypnagogischer Pop kommt 2013 deutlich angespannter daher. Während auf dem Debüt der Schönklang in all seinen Facetten zelebriert wurde und Nummern wie "Lay your cards out" für sich vereinnahmten, bemühen sich Poliça auf "Shulamith" nicht zu offensichtlich zu agieren und warten mit komplexeren, delirierenden Kompositionen auf, die aus dem Zwielicht grüßen und den Hörer damit in steter Unsicherheit wiegen. Der Opener "Chain my name" ist dabei noch am zutraulichsten und hätte so noch am ehesten auf dem Debüt stattfinden können, während sich Leaneagh im fantastisch wabernden "Warrior lord" in sirenische Höhen singt und allein mit ihrer Stimme jegliche Melodie trägt. "Very cruel" hingegen zeigt Poliça von einer anderen Seite, denn wenn unheilvolle Synthies auf Vokal-Eskapaden im Stile einer Nika Roza Danilova treffen, dann weiß man im Grunde schon, dass irgendwas Arges in der Luft liegt.
Für das bereits vorab veröffentlichte "Tiff" konnten Poliça dann tatsächlich den äußerst umtriebigen Edelfan Justin Vernon engagieren, der sein typisches Vocoder-Brummen mitbringt, sich ansonsten aber wirklich bedeckt hält. Das folgende "Spilling lines" dreht das Tempo hoch und schielt auf abgedunkelte Tanzflächen, auf denen sonst zu Burial oder Portishead geschwoft wird. Besonders schön ist dann noch "I need $", in dessen knapp fünf Minuten sich Channy Leaneagh als geldheischende R'n'B-Granddame inszeniert, während der reduzierte Beat nicht mehr tut, als er denn gerade muss: Poliça specken ab, im Mittelpunkt steht immerzu die schwelgende Stimme der Frontfrau, während die Synthieflächen, die stoisch getakteten Drumpatterns und der sparsame Bass ein solide wackelndes Fundament bilden. Die großen Hits wird man auf "Shulamith" daher eher nicht finden, Poliça festigen dafür ihre Position und unterstreichen auf überzeugende Art und Weise ihren künstlerischen Anspruch, elektronisch geaderten Pop neu zu interpretieren. Ein Album zwischen Wolkenbruch, Blitzgewitter und kaltem Sonnenlicht. Nur muss vor "Shulamtih" wahrlich niemand ins Trockene flüchten.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Chain my name
- Warrior lord
- I need $
Tracklist
- Chain my name
- Smug
- Vegas
- Warrior lord
- Very cruel
- Torre
- Trippin
- Tiff
- Spilling lines
- Matty
- I need $
- So leave
Im Forum kommentieren
Karla Pappschuber
2014-08-31 23:21:02
Ein herrliches Album.
AndreasM
2014-08-11 09:34:46
Ich würde sagen: definitiv!
Hab sie jetzt letzte Woche in Leipzig zum dritten Mal gesehen und bin jedes Mal wieder beeindruckt. Die 2 Drummer + Bassist verstehen ihr Handwerk und Channy Leaneagh ist schon eine Erscheinung. Es kommt oft der Kritikpunkt, dass sich viele Songs recht ähnlich klingen, eine etwas undifferenzierbare Masse entsteht. Für mich persönlich trägt das aber dazu bei, dass eine Sogwirkung einsetzt. Ich finds toll, was aber auch für beide Alben gilt - wie hier im Thread bereits geschrieben, sehe ich beide Platten bei 8/10.
saihttam
2014-08-11 00:13:41
Kann mir jemand von Live-Erfahrungen berichten? Lohnt sichs?
Achim
2014-01-01 17:24:30
und schon wieder weg von der 1 :(
Achim.
gehts noch
2014-01-01 14:08:01
bin der powervoter!
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