Casper - Hinterland

Four / Sony
VÖ: 27.09.2013
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Die Wurzelbehandlung

Raus aus der Provinz. Kampf mit Schranken, die einem das Hirn vielleicht auch nur suggeriert. Auf jeden Fall weg aus der Enge, der übergestülpten Glocke, aus der Trostlosigkeit, weg vom Schein. Raus aus dem Alltag und aus dem verdammten wie geliebten "Hinterland": "Man gibt uns gut zu verstehen: Die leeren Gläser der Theke sind beste Lupen aufs Leben." Benjamin Griffey alias Casper bezieht sich beim Titel seines dritten Albums auf die Erfahrungen seines Heranwachsens im provinziellen Extertal einerseits und auf sein Trailerpark-Leben im amerikanischen Atlanta andererseits. Und auch wenn die erste Vorabsingle "Im Ascheregen" eine brennende Stadt suggeriert, ist das kein direkter Verweis auf Heimat oder Wohnort, sondern eher ein in Ketten gelegter Allgemeinplatz. Und generell ist das nur eine mögliche Sichtweise. Es war und ist ja nicht alles schlecht. Wurzeln prägeln, Wurzeln bleiben, auch bei Casper, der Coming-Of-Themen mit Pathos versetzt, ins Stadion führt und so bei aller proklamierter universeller Dorfflucht und dem Streben nach Mehr das dosierte Glück im Hinterkopf trägt.

Inhaltlich finden sich also auf "Hinterland" Parallelen zu "XOXO", ja gar zu "Hin zur Sonne". Textliche Versatzstücke des Vorgängers wie "die letzte Gang der Stadt" tauchen auf; der Slogan "Anti-Alles für immer" überlebt als Graffiti. Das Wie aber ist völlig anders: Der 31-Jährige ist nun der rappende Singer-Songwriter, der eine Bandplatte gemacht hat. Er singt zwar im Rahmen seiner limitierten Möglichkeiten, wie der Refrain des Titelstücks zweifelsfrei belegt, bedient sich für den fluffigen Indie-Rocker "Alles endet (aber nie die Musik)" aber auch einer Dylan-Phrasierung und findet vor allen Dingen seine Sprechsingstimme (wieder). Casper arbeitet ohne jeden Zweifel Hook-basierter und behält dennoch etwa die Traurigkeit eines "Michael X" bei. Er muss sogar, denn der Anlass für "Ariel", den wohl besten Track der Platte, ist nicht minder ernst. Casper bespricht unter tröpfelndem Beat und Akustikklampfe den Tod seiner Halbschwester mit umgemünzter Titanic-Adaption: "Wenn ich geh', bin ich noch da / Solange die Band noch spielt."

Musikalisch ist das Äonen entfernt von Tracks wie "Blut sehen". Textzitate ersetzen Samples, wenn Casper Oasis' "Champagne supernova" und "Don't look back in anger" droppt oder Die Sterne, Ton Steine Scherben und Tomtes "Ich sang die ganze Zeit von dir" rezitiert, dabei aber die Perspektive wechselt. Das ergibt insofern Sinn, als dass Thees Uhlmann beim Vorgänger mitsang. Seine Nachfolger auf "Hinterland" sind Kraftklub bei "Ganz schön okay" und im starken "Lux Lisbon" Tom Smith von Editors. Caspers Indie-Ich will offensiv auf die ganz großen Bühnen und fährt daher für "Im Ascheregen" in der Rhythmik Woodkid-Pomp auf. Das bläserbetankte "La Rue Morgue" kann den Einfluss des Album-Mitbestreiters Get Well Soon sowie Nick Cave und Tom Waits nicht verhehlen und der großartige Schlusstrack "Endlich angekommen" auf den letzten Minuten nicht seine Nähe zu Arcade Fires "No cars go". Bei aller Folk-Fokussierung klingt ein Track wie "... nach der Demo gings bergab!" dann, als singe Frank Turner eine Midtempo-Nummer von The Divine Comedy. In "Jambalaya" fügt Casper schier problemlos ein Big-Band-Konstrukt ein, wie man es sich auch bei Peter Fox vorstellen könnte. Zwischen Cheerleader-Shouts schnackt er mit Augenzwinkern über den eigenen Status in der deutschen HipHop-Szene: "Nun ist es endlich wieder Zeit für das Original. Er darf tun, was er will. / Prost! / Es wird nie mehr so wie früher." Warum sollte es auch?

(Stephan Müller)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Im Ascheregen
  • Ariel
  • La Rue Morgue
  • Endlich angekommen

Tracklist

  1. Im Ascheregen
  2. Hinterland
  3. Alles endet (aber nie die Musik)
  4. ... nach der Demo gings bergab!
  5. 20 qm
  6. Lux Lisbon (feat. Tom Smith of Editors)
  7. Ariel
  8. Ganz schön okay (feat. Kraftklub)
  9. La Rue Morgue
  10. Jambalaya
  11. Endlich angekommen
Gesamtspielzeit: 47:05 min

Im Forum kommentieren

Arne L.

2023-05-17 16:50:42

Im Rückblick eine wirklich gute Platte, die extrem stark anfängt, im Mittelteil ein bisschen abbaut und hintenraus mit "Jambalaya" noch mal einen derben Hit raushaut. 7/10 gerade für die Zeit mehr als angemessen.

Affengitarre

2015-12-05 19:34:30

Casper macht jetzt Trap :D

Croefield

2014-01-14 00:37:33

...oder Fettes Brot

Gingser

2013-11-04 16:31:07

Schon irgendwie besser alas Fanta 4...

manukaefer

2013-11-04 16:21:24

stimmt

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