Disappears - Era

Kranky / Cargo
VÖ: 23.08.2013
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Aus dem Kellerloch

"Macht Spaß, die Platte." So äußerte sich seinerzeit das chronisch zweifelnde Plattentests.de-Forum über das dritte Disappears-Album "Pre language". Vollkommen zutreffende Einschätzung – solange sie den Hörer betraf. Die einzigen, die bei diesem knorrig-störrischen Post-Punk und Noise-Rock keinen Spaß hatten, dürften nämlich die vier Chicagoer selbst gewesen sein. Zu missmutig schrammten die desillusionierten Songs an den Wänden des Übungskellers entlang, zu griesgrämig nörgelte Brian Case über verlorene Jugend, enttäuschte Hoffnungen und darüber, dass das Licht am Ende des Tunnels wahrscheinlich doch ein Zug ist. Und wenn sich auf "Era" etwas daran geändert hat, dann allenfalls dahingehend, dass es immer noch verdrießlicher, abgehackter, auswegloser geht.

Und tatsächlich kann man sich analog zum merkwürdigen dreidimensionalen Gebilde auf dem Cover hoffnungslos in "Era" verirren – ein höchst ungemütlicher Ort, an dem New Wave beim Knochenjob im Stahlwerk schwitzt und der eine ungefähre Ahnung davon vermittelt, wie Sonic Youth geklungen hätten, wenn sie niemals jung gewesen wären. Nicht einmal, dass deren Drummer Steve Shelley nach seinem Gastspiel auf dem Vorgänger schon wieder aus dem Line-Up von Disappears verschwunden ist, kann dem Album etwas anhaben: Zu diesem beharrlichen Donnergrollen stellt man sich ohnehin besser rotierende Maschinen und schnarrende Präzisionsbohrer vor, wie sie sich mechanisch durch die Stücke fräsen. Sofern sie nicht unter tosenden Gitarrenexplosionen begraben werden. Betriebsunfälle, wohin das Ohr hört.

Da besorgt man sich am besten schon einmal einen Helm und möge sich hüten, das Bassgrummeln, das dieses Album eröffnet, mit dem Beginn von Pixies' "Debaser" zu assoziieren. Es folgt nämlich mitnichten frenetischer Indie-Rock mit lustig keifendem Dickerchen am Mikro. Stattdessen verteilt wütendes Schlagwerk donnernde Handkantenschläge, dichtes Gitarrengewebe macht einen Fuzz nach dem anderen auf, und die Stimme kommt mit heiserem, durch den Häcksler geschicktem Skandieren kaum nach. Und obwohl das Gebilde tatsächlich "Girl" heißt: Dies ist kein Liebeslied. Gleich danach verbinden sich bei "Power" punktgenaues Schlagzeugspiel und monotonste No-Wave-Riffs zu einem krautigen Teufelskreis, in den Case fetzenweise verhallte Stichwörter einstreut. Nie war die dunkle Seite der Macht zwingender.

Doch es geht noch teuflischer: "Ultra" verfrachtet den Hörer fast zehn Minuten lang in eine zappendustere Soundfabrik und rückt ihm auf die Pelle wie ein geisteskranker Stalker. Mit dumpf brütenden Beats und böse schleifenden Motorengeräuschen, immer wieder unterbrochen von Industrial-Dröhnen und bedrohlichen, gutturalen "If you go, I'll go"-Mantras. Rockmusik aus dem seelischen Kellerloch, aus dem sich Disappears nur allmählich wieder herausarbeiten, bis irgendwann das ganze "Weird house" unter marschierendem Upbeat und Thurston-Moore-Texturen erzittert. Selbst ein halb-balladesker Schwelbrand wie das Titelstück ist nur ein kurzes Durchschnaufen inmitten dieses beängstigenden Meisterwerks. Und ja: Das macht in der Tat Spaß. Nur ein bisschen anders als früher. Dafür aber noch mehr.

(Thomas Pilgrim)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Power
  • Ultra
  • Weird house

Tracklist

  1. Girl
  2. Power
  3. Ultra
  4. Era
  5. Weird house
  6. Elite typical
  7. New house
Gesamtspielzeit: 40:02 min

Spotify

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