The Staves - Dead & born & grown

Warner
VÖ: 19.04.2013
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Die heilige Dreistimmigkeit

Watford, Hertfordshire. Wir schreiben das Jahr 2003. Es ist ein Mittwochmorgen. Emily, die älteste Tochter der Staveley-Taylors betritt die Küche. Sie bleibt am Frühstückstisch stehen, stumm den Blick auf Baked Beans, Sausages und Scrambled Eggs gerichtet. Wenig später geht die Tür erneut auf und die vier Jahre jüngere Jessica kommt herein. Beide Schwestern gähnen synchron. Es ist 7:15 Uhr. Schließlich reiht sich kurz darauf auch Nesthäkchen Camilla ein. Plötzlich aus ihrer frühmorgendlichen Starre erwachend, wünschen die jungen Damen gleichzeitig einen "Gooo-ooo-ooood moooor-niiing!". Dreistimmig. Die Eltern gehen unbeeindruckt ihrem für diese Uhrzeit üblichen Tun nach, denn sie kennen die Dreistimmigkeit ihrer Töchter seit eh und je. Schon als Kleinkinder haben sie dreistimmig geschrien, als Schulkinder dreistimmig ein Pony gefordert und als Teenager dreistimmig verkündet, dass sie keinen Bock haben, den Müll rauszutragen und samstagsabends auch nicht vor Mitternacht zuhause sein werden.

So oder so ähnlich muss es sich damals zugetragen haben. Anders kann man es sich jedenfalls kaum vorstellen, wenn man "Dead & born & grown", das Debütalbum der drei britischen Schwestern hört. Wie konnte diese naturwundergleiche Stimmverschmelzung nur passieren? Man munkelt, Crosby, Stills & Nash seien schuld, eine der Lieblingsgruppen ihrer Eltern. Ohnehin sind es die Helden jener Generation, die The Staveley-Taylors, kurz: The Staves, musikalisch geprägt haben: The Beatles, Joni Mitchell, Bob Dylan, Simon & Garfunkel, James Taylor, Neil Young. Und so ist auch das Songwriting der Schwestern von ausgesprochen zeitloser, ausgereifter Qualität. 12 Lieder, von denen man mindestens die Hälfte für traditionelle Folkweisen halten könnte. Songs, von denen man das Gefühl hat, sie sind schon immer da gewesen. Und weil die A-cappella-Kunst zu den Lieblingssteckenpferden des Trios gehört, beginnt ihr Debüt-Album auch genau so. "Wisely & slow" ist dann allerdings doch der einzige Titel, der, und das auch nur in den ersten 75 Sekunden, auf instrumentale Begleitung verzichtet. Allerdings bleiben die Stimmen stets im Vordergrund - Gitarre, Ukulele, Mandoline, Hammond-Orgel, Harmonium und auch Percussion und Schlagzeug wagen sich nicht ein einziges Mal, zu dominieren.

Enge Familienbande nahmen auch auf den Produzentenstühlen Platz: Zum ersten Mal arbeiteten der große Glyn Johns (The Beatles, Bob Dylan, The Band) und sein Sohn Ethan (Ryan Adams, Laura Marling, Kings Of Leon) zusammen. Alle Stücke wurden im Studio live aufgenommen, mit dem erklärten Ziel, der Hörer möge das Gefühl haben, er sei mit dem tirilierenden Dreigestirn in einem Raum. Was ausgezeichnet gelungen ist. Derartige Qualitäten sprechen sich natürlich schnell herum: Bon-Iver-Kopf Justin Vernon ist glühender Fan und lud Emily, Jessica und Camilla bereits als Support in die USA und nach Kanada ein, Tom Jones bat die drei Grazien, auf seiner Platte "Praise & blame" zu singen. Ihr eigenes Debütwerk hingegen bietet keinerlei Anlass für Tadel, sondern diverse Gründe für Lob. Neben dem bereits erwähnten hervorragenden Opener, fallen insbesondere das hymnisch von einem Harmonium eröffnete und sich dann doch als lupenreine Folknummer entpuppende "The motherlode", und das überaus liebenswerte, ganz zauberhaft an Nick Drake erinnernde "In the long run" auf.

Aber sie können auch anders: In "Pay us no mind" etwa wird ein Verflossener mit den charmant, aber teuflisch grinsend vorgetragenen Worten "Fare thee well / I don't give a fuck anymore" verabschiedet. Dafür dürfen die Drei in "Tongue behind my teeth" einen Gast-Chorsänger begrüßen, der selbst kein Unbekannter mehr ist: Michael Kiwanuka. Während bis zur Halbzeit der Platte der fein verwobene Folk im Vordergrund steht, erweitern The Staves in der zweiten Albumhälfte ihr musikalisches Repertoire um Folkrock- und Americana-Einflüsse - letztere insbesondere im "Eagle song". Die Schwestern haben nämlich auch einen großen Freiheitsdrang, wie sie im so gar nicht unterkühlten "Snow" erklären, natürlich wie gewohnt in allerschönster Dreistimmigkeit: "Oh, I will never belong / Belong to anyone." Und auch wenn Emily, Jessica und Camilla niemandem gehören wollen, sollten sie in Anbetracht dieses bemerkenswerten Debüts doch wenigstens zahlreich gehört werden. Wurde einstimmig beschlossen.

(Ina Simone Mautz)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Wisely & slow
  • The motherlode
  • In the long run
  • Snow

Tracklist

  1. Wisely & slow
  2. Gone tomorrow
  3. The motherlode
  4. Pay us no mind
  5. Facing west
  6. In the long run
  7. Dead & born & grown
  8. Winter trees
  9. Tongue behind my teeth
  10. Mexico
  11. Snow
  12. Eagle song
Gesamtspielzeit: 46:07 min

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