Alice In Chains - The devil put dinosaurs here

Capitol / Universal
VÖ: 24.05.2013
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Stein und Bein

"Not to worry, ice covered rocks still move", singen Jerry Cantrell und William DuVall in einem als Vorabsingle veröffentlichten kolossalen Felsmassiv von Song, das den schlichten Namen "Stone" trägt. Ein aufregender Paukenschlag, der mit seiner programmatischen Zeile "Rained and weathered, erasing, hard to read" eine Art Ariadnefaden durch die labyrinthischen, lithischen Tiefenschichten aus Sludge-, Metal- und Hardrock bereitstellt. Denn "The devil put dinosaurs here" ist sperrig, kalt und bei Erstkontakt möglicherweise abweisend. Wer sich jedoch tiefer durch die Gesteinssedimente dieses ehrwürdigen Olymps von Band gräbt, wird nicht nur auf fossile Überreste vergangener Trittbrettfahrer und dahingeschiedener Idole stoßen, sondern ebenso auf alles verzehrende magmatische Gesteinsschmelze. Das Feuer lodert noch immer hell und tief in diesem Urgestein, dessen Mitglieder viel menschliches Leid erdulden mussten, sich zusammenrafften, weitermachten, dabei in erhabener Größe die Musikwelt überragen und sich langsam wie der besungene Fels in eine neue Zukunft bewegen.

Der knapp vier Jahre alte Vorgänger "Black gives way to blue" bildete ein Monument neuer Selbstermächtigung. Es näherte sich in der Produktion von Nick Raskulinecz der klanglichen Macht des 1992er-Überzeit-Albums "Dirt" an, ohne das Post-2000-Fundament, auf dem die neuen Songs gründeten, zu verbergen. Den gleichen Verschmelzungsprozess vollzieht "The devil put the dinosaurs here". "Ich denke nicht, dass Ihr von irgendwas überrascht sein werdet, das Ihr hört", verkündete Cantrell. Das Rad wird folglich nicht neu erfunden, aber auf einzigartige Weise zum Drehen gebracht. Cantrell zufolge handelt es sich mit Album Nummer fünf mehr um ein neues Kapitel im großen Alice-In-Chains-Buch. Was Chris Cornell auf dem grandiosen Soundgarden-Comeback "King animal" dem Hörer mit auf dem Weg gab, nämlich "Moving is breathing and breathing is life, stopping is dying", was im obigen "Stone"-Zitat nachhallt, vollziehen Alice In Chains als gelebtes Beispiel: Hauptsache weiterkommen und sich selbst nicht verlieren. Gestärkter noch als auf dem umjubelten Vorgänger, zeigt sich die Seattler Institution stellenweise in Perfektion.

"The devil put the dinosaurs here" beginnt mit den stärksten 20 Minuten der vermeintlich neueren Musikgeschichte. Wenn es genau so (und nicht "nur" auf sehr hohem Niveau) weiterginge, müssten wir uns über eine deutlich höhere Bewertung unterhalten. Mit "Hollow", "Pretty done", "Stone", "Voices" und dem abgedämpften Titeltrack werden alle Stärken der Band, wie sie auf "Dirt" zu ihrer vorläufigen Höhe fanden, vereint: zentnerschwerer, abgedunkelter Sludge in "Hollow" mit rosenkranzelegischem zweistimmigem Gesang. Verstörende lavaströmende Gitarren in "Pretty done". Hervorstechendes Schwermetalldrumming von Sean Kinney in "Stone", welches das atmosphärischste und emotionalste Starkstromsolo der Bandhistorie zu bieten hat. Sowie der bittersüßbluesige Popappeal mit dem ergreifenden "Voices", das ähnlich "Heaven beside you" vom Tripodalbum, aber mit mehr Wucht in den Knochen und weniger Monotonie die offenen, schleppenden Akkorde des in Langsamkeit verbleibenden "The devil put dinosaurs here" anklingen lässt, dessen atmosphärische Qualität sich bereits in Songs wie "Down in a hole" oder eben "Dirt" manifestierte, welche Bands wie Staind, die frühen Creed oder auch Godsmack vergeblich abzukupfern versuchten. "The devil put dinosaurs here, Jesus don't like a queer" wird im Titelstück zweistimmig verkündet und damit in aller Prägnanz die US-amerikanische religiöse Hardlinereinstellung um Evolution und Sexualmoral pointiert auf den Punkt gebracht.

Überhaupt sticht der zweistimmige Gesang als maßgebliches Stilelement wieder ins Ohr, der auf dem Vorgänger weit mehr von Sologesangparts von Cantrell oder DuVall beherrscht wurde und hier nun zu vollendeter Höchstleistung gebracht wird. Wo sich in den langsamen, doch wuchtigen "Monkey lab" und "Low ceiling" die Vokalparts teilen, werden sie in erhabenen, hypnotischen Refrains wieder vereint. Besonders zur Geltung gereicht es den beiden "Balladen" "Scalpel", welches das countryfizierte Gegenstück zu "Its your decision" vom Vorgänger bildet, sowie dem Trauerstück "Choke", dessen Refrainhöhenflug vermutlich jedes Rückenhärchen vor Ergriffenheit aufrichtet. Diese Momente in ihrer Gesamtheit machen "The devil put dinosaurs here" zu dem, was es ist: zu einem Meisterwerk. Wem das nicht gefällt, kann ja heulend zu den verwitterten Grabsteinen von Creed und Konsorten laufen. Wir graben uns lieber durch die Schätze dieses unsterblichen Gebirgmassivs.

(Peter Somogyi)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Hollow
  • Pretty done
  • Stone
  • Voices

Tracklist

  1. Hollow
  2. Pretty done
  3. Stone
  4. Voices
  5. The devil put dinosaurs here
  6. Lab monkey
  7. Low ceiling
  8. Breath on a window
  9. Scalpel
  10. Phantom limb
  11. Hung on a hook
  12. Choke
Gesamtspielzeit: 64:16 min

Im Forum kommentieren

edegeiler

2016-12-01 22:43:08

Schon schwer schmalzig das Ganze, hörs gerade zum ersten Mal. Aber Harmonien wie immer schön.

enti

2016-12-01 13:39:56

von Rush

edegeiler

2016-12-01 12:53:09

Hab gelesen das sei ein Cover.

Robert G. Blume

2016-12-01 12:33:46

Auf Spotify gibts einen neuen Song namens "Tears".

Ich finde ihn ziemlich entsetzlich. Hardrockballade.

noise

2016-08-27 13:29:11

Sicherlich ein gutes Album. Aber, beim kompletten Durchhören finde ich es etwas ermüdent. Dafür sind sich viele Stücke zu ähnlich. Ein paar verzichtbare Stücke weniger und auf ca 45-50 min. gestrafft wäre es mir lieber.

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