Tom Waits - Blood money

Anti / Epitaph / Connected
VÖ: 06.05.2002
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Wenn einem die Natur kommt

Die Geschichte klingt in der Kurzfassung weder besonders spannend, noch klischeefrei: Ein armer Diener eines selbstzufriedenen Hauptmanns läßt sich nebenberuflich von einem skrupellosen Quacksalber als Versuchkaninchen mißbrauchen und wird von diesem durch planvolle Mangelernährung in Wahnvorstellungen getrieben. Er ersticht in rasender Eifersucht seine Frau, die ihn betrogen hat und die doch das einzige ist, was er auf der Welt hat. Nein, das ist kein Arztroman aus der Bahnhofsbuchhandlung, sondern die zugegebenermaßen stümperhafte Zusammenfassung von Georg Büchner Dramenfragment "Woyzeck".

Neben "Alice im Wunderland" hat sich Tom Waits auch dieses Stück zur musikalischen Bearbeitung vorgenommen. Das Ergebnis heißt "Blood money" und steckt so voller Traurigkeit, daß es sich hinter seiner Vorlage nicht zu verstecken braucht. Die Verzweiflung der gequälten Kreatur wird in einer Eindringlichkeit vertont, die einem eisige Schauer über den Rücken treibt. Mit großer Treffsicherheit extrahiert Waits Stimmungen aus Büchners Drama, und so wird auch aus der oberflächlich gesehen eher heiteren Jahrmarktszene ein herzzerreißend melancholisches "Coney Island baby".

Waits gibt "Woyzeck" ohne Scheu genau die Stimme, mit der er in seinem Frühwerk sogenannte Säuferballaden intonierte. Und obwohl Woyzeck sicher nicht der abgewrackte Trinker ist, für den diese Stimme gemacht zu sein scheint, paßt sie ihm wie die Faust aufs Auge. Nicht die Stimme gibt der Person einen Charakter, auf "Blood money" funktioniert es genau andersherum. Einem Schauspieler gleich kämpft sich diese Stimme durch die literarische Vorlage und nimmt den Charakter der Hauptperson an. Und dios gelingt ihr so perfekt, daß sie für die Dauer des Albums tatsächlich der arme Diener wird.

Bühnenbilder finden ihre Entsprechungen in recht sparsamen und meist unelektrifizierten Instrumentierungen. Piano, Baß-Klarinette und Blechbläser beherschen die düsteren Vorhänge. Xylophon, Mundharmonika, allerlei Schlagwerk und eine Gitarre hier und da tupfen Brauntöne dazu. Doch bevor der letzte Vorhang fällt, gibt uns Tom Waits noch eine Weisheit mit auf den Weg: "A good man is hard to find", und doch ist es möglich. Wir haben ein Meer aus Traurigkeit durchschwommen, doch wir können das andere Ufer erreichen. "And my favorite color is red" hören wir noch. Und tatsächlich, es wird wieder etwas wärmer.

(Rüdiger Hofmann)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Coney Island baby
  • God's away on business
  • Starving in the belly of a whale
  • A good man is hard to find

Tracklist

  1. Misery is the river of the world
  2. Everything goes to hell
  3. Coney Island baby
  4. All the world is green
  5. God's away on business
  6. Another man's vine
  7. Knife chase
  8. Lullaby
  9. Starving in the belly of a whale
  10. The part you throw away
  11. Woe
  12. Calliope
  13. A good man is hard to find
Gesamtspielzeit: 42:09 min

Im Forum kommentieren

u.x.o.

2022-03-09 06:48:44

Bin ich ganz bei Dir, deaf. Mit der Mule variations versuche ich es alle paar Jahre Mal, natürlich sind da tolle Nummern drauf, auf die Gesamtlänge überzeugt es mich aber nicht.

Blood Money finde ich perfekt!

Deaf

2022-03-08 22:19:31

Eine Schande, dass dieses Werk hier so unterschätzt wurde. Und "Another Man's Vine" ist für mich der Übersong der Platte, aber es wimmelt nur so von Highlights. Würde ich jederzeit der überschätzten "Mule Variations" vorziehen (für mich eines seiner schwächeren Alben, und mit 70 Minuten dazu noch viel zu lang). Das Theaterstück hätte ich natürlich auch gerne mal gesehen.

Iamthesword

2015-01-21 00:12:04

Sein bestes Album (nich vor RAIN DOGS)

Info

2010-04-22 15:50:26

Tom Waits´ Woyzeck-Vertonung setzt Triumphzug fort:

Woyzeck-Premieren 2010/2011

Staatsschauspiel Dresden
Regie: ?
Musik: Tom Waits/Kathleen Brennan
Premiere: ?

Schauspielhaus Düsseldorf
Regie: Amélie Niermeyer
Musik: Tom Waits/Kathleen Brennan
Premiere: ?

Hotze

2010-03-05 20:20:12

Hola, Hans!
Wie kann man sich eine solche Aufführung dennn eigentlich vorstellen? Singen und musizieren die live oder kommt uns Tom vom Band?

Ich würde mir ja Letzteres wünschen, weil die Stimme (und wahrscheinlich auch die Musik) eh keiner so hinkriegt. Und weil die Platte die Kraft hat, mich zu Tränen zu rühren.

Weißt du da Näheres?

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