Depeche Mode - Delta machine

Columbia / Sony
VÖ: 22.03.2013
Unsere Bewertung: 6/10
6/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Kraftaktion

Depeche-Mode-Fans sind leicht glücklich zu machen. Zum Beispiel mit einer Tour, auf der sie ihren Lieblingen mehr huldigen können als die CSU dem Papst und Fan-Arme gemäß den Automatismen eines Frontscheibenwischers ebenso ferngesteuert wie ekstatisch "Never let me down again" bejubeln. Manchmal reicht aber auch ein simples "Yes". Als die Band bei einer Pressekonferenz in Paris die Tour zu einem bis dato noch namenlosen Album ankündigte, beantwortete sie Fragen des angereisten Publikums. Unter anderem diese: "Es gibt mittlerweile viele Bands, die Synthesizer gut einsetzen. Glaubt ihr, dass Ihr immer noch die Besten in dem Metier seid?" Dave Gahan sagt entschieden "Yes", Andy Fletcher ergänzt "Naturally" und Martin L. Gore lacht. Alle lachen, alle sind froh.

Dabei ist Gore der einzige im Trio, der modulare Synthies so akribisch bearbeitet. Stecker rein, Stecker raus, Plug-in hier, Plug-in da. Stunden. Tage. Vermutlich auch noch im Traum. Und dann kommen Depeche Mode mit "Heaven" um die Ecke. Vorbote des 13. Studioalbums "Delta machine". Eine Ballade als erste Single?! Lahm sei der Song, dröge, ja gar einer der schlechtesten Titel der Bandhistorie, so flog es den Basildonern um die Ohren. Können ja manche gerne so sehen. Oder man hört darin ein schlichtes, getragenes, weihevolles, dem Text bestens angepasstes Stück, in dem das Substrat von Gahans Kurzzeitbeschäftigung auf Soulsavers' "The light the dead see" und Gores zur Klarheit geknechtete Stimme Komplementärarbeit leisten. Das System der "zweiten Stimme" nutzen die beiden Songschreiber übrigens häufig auf "Delta machine".

"Heaven" dürfte im 20-jährigen Nachklang zu "Condemnation" eigentlich auch niemanden überraschen. Ein nachvollziehbarer Schritt. Einer, der sich im Titel des Albums widerspiegelt und dem propagierten Electro-Blues Gospel-Futter gibt. "Slow" etwa entwickelt ein retardierendes, schwüles Riff zu aphrodisierenden Sirenen, um jenen Electro-Blues weiter durch "Delta machine" zu treiben. Es ist nicht der letzte Wink, zumal Gahan ohnehin Intonation und vokale Energie seit Jahren in diese Richtung steuert und manchmal gar etwas überagiert. Folglich thront er wie ein manischer Prediger über "Angel", das neben seiner wunderbaren Disharmonie aus gallig ausgespucktem Beat und kurzwelligen Synthies eine ordentliche Portion Dreck über die Sequenzer schleift und so eine Brücke schlägt zu "Songs of faith and devotion" und "Ultra": "The angel of love was upon me."

Gores einziger Soloauftritt am Mikrofon heißt "The child inside" und taugte gar als Wiegenlied, erzählte es nicht vom abiotischen, kindlichen Gemüt des Gegenübers. Der Track schwebt durch wenig greifbare Sphären - und muss auch so schnell nicht wiederkehren. Aber Gore kann auch Minimal-Techno. Die blinkenden, blubbernden und schreienden Extrakte aus der VCMG-Kollaboration mit Ex-Depeche-Mode-Weggefährte Vince Clarke sind das Fundament des Openers und vor allen Dingen von "My little universe", erinnern gelegentlich aber auch an Thom Yorke oder Four Tet, entgifteten Acid-House, kosmische Strömungen und Herzmonitore. Wenn Depeche Mode künftig "Welcome to my world" sagen, hat die Kugel ihr Spektrum erweitert. Gerade letztgenannter Song ist vielleicht auch das extremste Beispiel einer sperrigen, Midtempo-lastigen, aber spannungsgeladenen Platte.

Das musikalische Antonym existiert auf "Delta machine" unter dem Namen "Soothe my soul". Unter seinem schmissigen Gewand trägt der Track nur ein zahnloses "Personal Jesus"-Höschen und einen schwachen Stalker-Text obendrein, während "Soft touch/raw nerve" auch nicht mehr als ein aufgepumpter Schatten der "Construction time again"-Ära ist. "Should be higher" dagegen presst die Kopfstimme aus Gahan und beschwört in allerbester Manier die große Geste; und im Prärie-Blues "Goodbye" wartet im Outro ein drangvoll euphemistischer Refrain. "Delta machine" ad hoc zu beurteilen ist so wertvoll wie Äpfelpflücken, wenn der Baum noch nicht gepflanzt ist. Viele Songs wollen reifen und erarbeitet werden, "Secret to the end" bis ins xylophonische Einzel seziert, der fiktive Theremin-Geist in "Alone" gejagt und die E-Gitarre unter den skelettierten, selbstreferentiellen 1980er-Klängen in "Broken" entdeckt werden. Stillstand ist der Rückschritt des Futuristen. Wie schön, dass Depeche Mode nicht zu faul zum Laufen sind.

(Stephan Müller)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Angel
  • Heaven
  • Should be higher
  • Goodbye

Tracklist

  1. Welcome to my world
  2. Angel
  3. Heaven
  4. Secret to the end
  5. My little universe
  6. Slow
  7. Broken
  8. The child inside
  9. Soft touch/raw nerve
  10. Should be higher
  11. Alone
  12. Soothe my soul
  13. Goodbye
Gesamtspielzeit: 57:59 min

Im Forum kommentieren

Otto volle Möhre

2023-03-23 20:17:30

Coole, unterschätzte Platte.

MichaelDiao

2014-05-28 01:20:38

Klingt wirklich sehr gut, auch wenn es etwas monoton ist. Aber trotzdem meilenweit besser als "Sounds Of The Universe" welches das schlechteste Depeche Mode Album mit einer der besten Single der 2000er ist.

Croefield

2014-01-15 07:13:38

Ich muss dem hungrigen Geist zustimmen: Ich finde "Delta Machine" deutlich besser als "SOTU" und z.b. auch besser als "Exciter". Für mich auf ca. einer Ebene mit "SOFAD" und "Ultra".

hilde

2014-01-15 05:49:10

................AUFWACHEN - OHREN AUF.........

@hungry ghost

2014-01-14 18:33:03

unterschreibe ich größtenteils.

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