Dear Reader - Rivonia

City Slang / Universal
VÖ: 05.04.2013
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10
6/10

Die Geschichtserzählerin

Alles andere wäre fast zu einfach gewesen. Und irgendwie auch eine Enttäuschung. Als Cherilyn MacNeil 2009 das erste Mal mit ihrer Band Dear Reader auftauchte, war das ein bisschen wie eine unerwartete Offenbarung. Deren Debüt "Replace why with funny" hatte nun wirklich niemand auf dem Schirm - wer sich aber die Mühe machte und es sich anhörte, wurde reichlich belohnt. Zehn kleine Perlen boten sich dem Hörer, eine schöner als die andere. Der Nachfolger "Idealistic animals" stand dem in nichts nach, und beide Alben zeichneten sich vor allem durch ihren hohen persönlichen Wert aus. Erzählte das Debüt noch von Existenz- und Zukunftsängsten und hinterfragte, inwieweit die Liebe dabei förderlich oder hinderlich sein kann, war diese auf "Idealistic animals" vorbei. MacNeils Trennungsalbum voller Kummer und Schmerz entwickelte sich fast zu einem kleinen Stück Arbeit, die in Kauf zu nehmen sich auszahlte.

Was sollte also passieren auf "Rivonia", dem dritten Album dieser vielversprechenden Band, dieinzwischen nur noch aus MacNeil und wechselnden Studiomusikern besteht? Und die im Grunde schon alles gesagt hat? Der Titel verrät es: Rivonia ist ein Stadtteil von MacNeils südafrikanischer Heimatstadt Johannesburg, und eine der wahrscheinlich größten Geschichten ihres Landes und der Welt zieht sich wie ein roter Faden durch das Album. Die Apartheid, deren Ende in den 90ern nicht nur Sudafrika nachhaltig verändert hat, fand quasi direkt vor MacNeils Haustür statt, und mit "Rivonia" gewährt sie einen kleinen Einblick in die Geschichte Südafrikas, ohne dass der Hörer vor lauter angestaubtem Unterricht das Weite suchen möchte. Schon die erste Single "Down under, mining" mitsamt seines berührenden Musikvideos deutete an, dass "Rivonia" anders ausfallen würde als seine beiden Vorgänger. Aber keineswegs schlechter.

"27.04.1994", dessen Titel auf das Datum der Parlamentswahl hinweist, die schließlich das Ende der Apartheid besiegelte, könnte noch am ehesten auch auf "Replace why with funny" draufgewesen sein, der vermehrte Einsatz der Blasinstrumente und Chöre ist jedoch neu. Es scheint, als wolle MacNeil nicht einfach nur auf die Vergangenheit ihrer Heimat hinweisen, sondern auch deren Identität verstärkt nach außen tragen, mit all ihren Formen, Farben und natürlich Klängen. Gerade sachte und tapsig startet "Already are", bis der weibliche und männliche Gesangspart sich vor einer großen Kulisse vereinen und jedes noch so kleine Vorurteil, das man über den Kontinent Afrika dank "König der Löwen" hat - mitsamt den in der Steppe singenden Tieren und dem ewigorangenen Sonnuntergang am Horizont - spielt sich plötzlich vor dem inneren Auge ab. So lange, bis man merkt, dass dieses kleine Highlight von "Rivonia" schon wieder vorbei ist.

Das Spiel mit den Geschichten, die sich bei jedem einzelnen Song von Dear Reader im Kopf des Hörers abspielen, kennt man bereits zu Genüge von den ersten beiden Alben. Dass man sich dieses Mal nur bedingt damit identifizieren kann, spielt kaum eine Rolle. Dennoch startet "Man of the book" fast zu verhalten, um den kommenden Kulturschock zur Mitte hin mitsamt seinem gewaltigen Frauenchor ohne Mühe verarbeiten zu können. Aber auch das wusste man schon vorher: Die Musik von Dear Reader ist keinesfalls zum puren Genuss und beiläufigen Nebenherhören geeignet. MacNeil und ihre Studiomusiker fordern die Person vor den Boxen oder mit den Kopfhörern auf den Ohren heraus, bis man sich automatisch seine Gedanken zum gerade Gehörten macht. Etwa, wenn zum Schluss die Acapella-Nummer "Victory" den Sieg nicht nur für sich beansprucht, sondern lauthals feiert, und man als Hörer mittendrin steht und sich ebenso als Gewinner fühlt. So macht der Unterricht doch Spaß.

(Jennifer Depner)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Down under, mining
  • 27.04.1994
  • Already are
  • Cruely on beauty on

Tracklist

  1. Down under, mining
  2. Took them away
  3. Good hope
  4. 27.04.1994
  5. From now on
  6. Man of the book
  7. Back from the dead
  8. Teller of truths
  9. Already are
  10. Cruelty on beauty on
  11. Victory
Gesamtspielzeit: 34:16 min

Im Forum kommentieren

Der mit der Darmbegleitung

2013-05-28 09:51:08

Die Idealistic Animals fand ich gegenüber dem Vorgänger etwas lahm, aber Rivonia macht alles wieder gut. Bestes Album bislang, aber auch insgesamt ist schon ziemlich klasse, was die Frau so raushaut.

Demon Cleaner

2013-05-28 09:08:21

Ich hab sie gestern in Hamburg live gesehen und es war einfach vollkommen umwerfend. Hatte sie bisher nicht auf dem Schirm (bis auf "Great White Bear") und mir direkt das neue Album angehört. Klingt auf jeden Fall sehr interessant, "Already Are" ist tatsächlich toll und war auch auf dem Konzert eines der Highlights.

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