Tommy Finke - Unkämmbar
Noteworks / Zebralution / Al!veVÖ: 28.03.2013
Vergangenheitsform
Es war in der Mitte des letzten Jahrzehnts. Enorm viele deutschsprachige Bands erreichten den Höhepunkt ihrer Bekanntheit und sprossen aus dem Boden. Von Krise war nichts zu spüren. Mit ihnen entstand an jeder Ecke des Internets ein Bandforum: von Anajo und Hund Am Strand über Wir Sind Helden bis zu den gesammelten Bands vom Grand Hotel van Cleef - jede Band hatte ihr Streetteam, jede Band ihr ureigenes Forum! Ein beliebtes Spiel war dort das Erstellen von Mixtapes für vermeintlich fremde Forenbekanntschaften. Damals gern gesehener Gast auf diesen Tapes: Tommy Finke mit seinem unbeschwerten Indie-Tanzhit "Rock'n'Roll-Leben". Inzwischen sind viele dieser Bands aufgelöst, die Foren verwaist oder geschlossen. Olli Schulz ist auf ProSieben und Tommy Finke präsentiert uns ein neues, dennoch vertrautes Album.
Tatsächlich ist "Unkämmbar" eine bescheidene, angenehme Zeitreise in den Sound und die Stimmung genau dieser Jahre. Die Melodien sind einfach, aber eingängig - die Stücke bodenständige Loblieder, ab und an pathetisch vorgetragen. Die Produktion ist allseitig mit Cello, Piano und Mundharmonika abgerundet, bleibt dabei authentisch. Eine der Hymnen ist "Haldern", die damals gut und gerne Soundtrack für ein sonniges Wochenende beim gleichnamigen Festival hätte sein können. Aber auch heute noch wird der ein oder andere dort "Ich habe mein Herz in Haldern verloren" überzeugt mitsingen.
"Canossa" ist ein Indiepop-Dancehit inklusive britischer Gitarren und Woohoo-Rufen im Refrain, der sich selbst fast schon majestätisch ankündigt und die nun nicht mehr so richtig existente Zielgruppe massenhaft auf die Tanzfläche gelotst hätte. "Und ich warte auf den Weltkrieg / Weil schon lange keiner war", singt Finke in "Weltkrieg" und "Gib mir deine Hände / Ich falt' sie zum Gebet / Auch wenn jeder weiß / Dass ich davon nichts versteh" in "Skeptic". Zeilen, die auch gut und gerne aus der Feder und dem Mund von Thees Uhlmann zu Zeiten von "Buchstaben über der Stadt" oder "Heureka" stammen könnten - inklusive langgezogener Vokale. "Mit 17 in Hamburg" komplettiert den Retro-Reigen abschließend. Eine weitere, andächtige Hommage mit Akustikgitarre an die vergangene Zeit in der musikalisch so wichtigen Hansestadt, die Tommy Finke seinem verstorbenem Vater widmet.
So sind auch die ganzen Vergangenheitsformen und Konjunktive in diesem Text eher andächtig denn abfällig zu lesen. Denn auch aus den Mixtapes an die Unbekannten von damals, wurden zuweilen Mixtapes an Freunde und Wegbegleiter. Auch wenn der Kontakt inzwischen vielleicht nur noch sporadisch ist, kann man sich gemeinsam einer ausgelassenen Zeit erinnern und "Unkämmbar" ist nun zusätzliche Erinnerungsstütze.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Haldern
- Canossa
- Mit 17 in Hamburg
Tracklist
- L <3 L
- Haldern
- Unrasiert & fern der Heimat
- Canossa
- Heimathafen
- Wer hat mich gemacht?
- Sag Ihnen, dass du sie liebst
- Skeptic
- Weltkrieg
- Mit 17 in Hamburg
Referenzen
Spotify
Weitere Rezensionen im Plattentests.de-Archiv
Threads im Forum
- Tommy Finke - Ein Herz für Anarchie (4 Beiträge / Letzter am 11.08.2017 - 17:59 Uhr)
- Tommy Finke (20 Beiträge / Letzter am 21.02.2010 - 11:11 Uhr)