Herrenmagazin - Das Ergebnis wäre Stille
Delikatess / Broken SilenceVÖ: 15.03.2013
Apocalypse later
Vorbei die Leidenszeit. Die ersten Sonnenstrahlen des Jahres haben gerade eine ordentliche Portion Vitamin D versprüht und damit die winterlich-depressiven Gemüter aus dem Gefrierfach geholt. Endlich bleibt es wieder länger hell, das erste Eis des Jahres ist verzehrt, das erste Bier im Freien getrunken. Die Wayfarer-Dichte in Fußgängerzonen deutscher Großstädte nähert sich schon wieder der Sättigungsgrenze, die Hipster reißen sich ihre Retrolederjacken vom ausgemergelten Leib und tragen nun Unterhemd und Beanie. Alles gut also. Der Frühling naht. Und dann kommt eine neue Herrenmagazin-Platte. Na toll.
Das ewige Geplöke des Quartetts macht doch immer alles beschissener, als es eh schon ist. Und dabei wollen doch alle nur mal ein bisschen ausruhen und genießen, gerade jetzt in der Krise. Frühlingsgefühle sind einfach so ziemlich das Gegenteil der Musik von Herrenmagazin. Diese Verknüpfung wäre so unpassend wie eine Poolparty in Tschernobyl. Gut, hier wird gerade maßlos übertrieben, aber genau so präsentiert sich das Artwork der neuen Platte tatsächlich: Eine bunt verschnörkelte Wasserrutschenkonstruktion steht mitten im Nichts. Eine Szenerie wie nach dem Super-GAU, unheimlich und menschenleer. Dort wo Kinder fröhlich toben sollten, fehlt jedes Lebenszeichen, still und starr ruht das Auffangbecken. "Das Ergebnis wäre Stille" - exakt das im Titel festgeschriebene Resultat wird hier aufgegriffen. Das macht schon stutzig, wenn noch keine Zeile gesungen ist.
In der Tat haben Herrenmagazin auf ihrem neuen Album die ätzend-entlarvende Bildsprache der Vorgängeralben beibehalten - und mit dem guten Wetter haben es die Hamburger wirklich nicht so: In "Geröll" spricht das Quartett überspitzt von "dieser ekelhaften Sonne, an der wir Tag für Tag erblinden". Weiter heißt es: "Die Träume, die Du sammelst, sind nur Müll / Doch das merkst Du nicht" - das schafft klare Verhältnisse darüber, was Herrenmagazin vom Schwelgen halten. Immer wieder holt die Band den Hörer auf den Boden der Tatsachen zurück. Die Erstauskopplung "Frösche" schlägt in die gleiche Kerbe: "Deine Gedanken sind lebhaft, so wie Frösche im Sprung / Doch bleibt ihre Heimat ein stinkender Sumpf", lautet der desillusionierende Einleitungssatz. Auch sich selbst gilt es zu disziplinieren, um den Blick für das Wesentliche nicht zu verlieren: "Ich will das nicht ansehen / Aber so sieht's aus", erkennen Herrenmagazin schließlich ernüchtert. Der ewige Hype, der allgegenwärtige Opportunismus, die ständige Euphorie wegen völlig Unwesentlichem - all das geht den Jungs gehörig auf die Nüsse.
Herrenmagazin haben die Meckermaschine also wieder angeschmissen, jedoch mit einem feinen Unterschied: Statt wie auf "Atzelgift" einfach loszupoltern oder wie auf "Das wird alles einmal dir gehören" lautstark zu nörgeln, geht die Truppe nunmehr wesentlich fokussierter zu Werke. Das jugendliche Streufeuer vergangener Tage weicht dem einen, ganz gezielten Schuss. Und der trifft ins Schwarze. Dieses Album ist die Konsequenz einer fortschreitenden persönlichen und musikalischen Entwicklung, die genau rechtzeitig kommt, denn tatsächlich regiert hierzulande doch der buchstäbliche Stillstand - selbst bei Plattentests.de schreiben sie schon Einleitungen über das Wetter. Herrenmagazin errichten ein Manifest gegen die Befindlichkeitsfixierung und starten einen weisheitsunterfütterten Aufruf zum Aufstehen und Weitermachen, gegen Prokrastination und für die Wehrhaftigkeit. So vereitelt das Quartett gerade noch einmal die drohende Phlegma-Apokalypse. Was wäre, wenn sich alle einfach nur noch ausruhen würden? Das Ergebnis wäre Stille.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Frösche
- Lang nicht mehr da
- Geröll
- Krumdal
Tracklist
- Regen
- Frösche
- Lang nicht mehr da
- Dein Wort
- Landminen
- Qlinch
- In toten Hügeln
- Geröll
- Alle Lügen
- Krumdal
Im Forum kommentieren
sizeofanocean
2021-01-27 14:34:48
der Nachfolger kam da nicht mehr ran, das stimmt, die Solo-Sachen vom Sänger sind zuletzt leider auch ziemlich untergegangen
Jaggy Snake
2021-01-27 11:56:44
Sehr sehr gute Platte. Gefällt mir auch noch um einiges besser als der Nachfolger. Hoffentlich raufen sie sich nochmal zusammen...
sizeofanocean
2021-01-27 08:21:01
Mikrokosmos23 und Herrenmagazin, 2013 war ein gutes Jahr für Indie aus Deutschland, abseits von GHVC und dem üblichen Beschwerdepunk...
Tipp
2013-11-04 07:34:06
Dann hör dir die Vorgängeralben auch unbedingt an. Sehr zu empfehlen.
Daniel
2013-11-03 17:53:47
Hab die Platte gestern erstanden, nachdem ich sie mir im Laden mal angehört hatte. Kannte die Band vorher gar nicht, aber das Album ist echt klasse. Und sehr schicke Aufmachung (daher bin ich erst auf das Album aufmerksam geworden)
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