Daughter - If you leave

4AD / Beggars / Indigo
VÖ: 15.03.2013
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Der Sturm nach der Ruhe

Da ist sie wieder, die nächste von diesen gesichtslosen Bands XYZ, die immer wieder wie Unkraut aus dem Boden schießen, den einen großen Hit haben, überall gespielt werden und hoffentlich bald wieder in der Versenkung verschwinden. Hast Du auch so die Schnauze voll von denen? Ganz schlimm wird es, wenn die RTL II News sie als die nächste große Pop-Sensation feiern, während sie für jedes x-beliebige Musikmagazin schon wieder zu bekannt sind, als dass man sie wirklich gut finden könnte. Dauert ja meistens eh nicht lang. Spätestens das zweite Album kann die Erwartungen nicht erfüllen, die RTL II News sind schon auf den nächsten Zug aufgesprungen, und schon dümpelt Band XYZ in der Mittelmäßigkeit herum, die ihr ja auch viel besser zu Gesicht steht. Aber Du hast das ja schon immer gewusst. Deswegen ist Dir eine Band wie Daughter sowieso tausendmal lieber.

Und auch wenn Dein Stirnrunzeln und der leicht verzogene Mund mir jetzt vormachen wollen, dass Du noch nie von denen gehört hast, weiß ich es natürlich besser. Mensch, Daughter! Klar! Das Trio, das 2010 einst als Soloprojekt gestartet hat. Ein Jahr später gab es mit "His young heart" und "The wild youth" gleich zwei grandiose EPs, die sofort ins Ohr gingen und Lust auf mehr machten. Und was kam dann? Lange Zeit leider gar nichts. Und während Du und ich längst wissen, dass das Debüt "If you leave" jetzt endlich erscheint, werden diverse Nachrichtenformate den Zug hoffentlich nie erwischen. Daughter gehört uns. Diese Stimme von Sängerin Elena Tonra, die ein bisschen klingt wie eine Mischung aus Florence Welch, Julia Stone, Feist und Romy Madley Croft von The xx, gehört uns. Die zehn Songs, deren kurze Titel die Spannung nur vergrößern, die gehören auch uns. Und dieser Sturm nach der langen Ruhephase, die wir nach den beiden EPs abwarten mussten, der gehört uns noch mehr als alles andere.

Das Album, das in den Abbey Road Studios abgemischt und unter anderem von Rodaidh McDonald produziert wurde, der bereits mit Gil Scott-Heron, King Krule alias Zoo Kid und eben The xx zusammengearbeitet hat, ist zweifelsohne ein harter Brocken, der die Emotionen mit Leichtigkeit schürt – von Entspannung kann hier jedenfalls keine Rede sein. Wenn Tonra beim bereits vorab veröffentlichten "Smother" die Zeilen "I should go now quietly / For my bones have a place / To lie down and sleep" singt und dann ein Chor "In the darkness I will meet my creators / They will all agree that I'm a suffocator" nachlegt, berührt das tief im Innersten, nicht erst, als Tonra dann nur noch zur sachte erklingenden Gitarre von ihrer schier umhauenden Existenzangst erzählt. Ähnlich starken Tobak gibt es im melancholischen "Touch", dessen erster Schlagzeugeinsatz eine geradezu erlösende Wirkung hat, oder auch beim ungleich poppigeren, ungestümen "Human", bei dem jedes Kratzen, jedes Poltern sitzt und sich der Satz "Underneath this skin there's a human" wie ein kleines Gebet tief ins Gedächtnis einbrennt.

Daughter schaffen es, in jedem Stück, in jeder Sekunde auf "If you leave" kunstvoll zu klingen, ohne dabei auch nur ansatzweise künstlich zu werden. Gleichzeitig steckt nicht nur in den Texten, sondern auch in den Songs eine Form von Poesie, die man nie für dahergesagte, leere Worte halten würde. "If you're in love, then you're the lucky one / Because most of us are bitter over someone", ertönt es in der Single "Youth" - die Schilderung einer zerbrochenen Beziehung mit allerlei Worten, die im Kopf nachhallen. Die Augen werden feucht, die Brust birst vor Schmerz, die Worte legen sich schwer aufs Gemüt, während das polternde Trommeln und die beinahe hypnotische E-Gitarre diesen Effekt nur verstärken. Versöhnlicher, aber nicht friedvoller wird es gegen Ende mit "Amsterdam", kurz bevor der gewaltige Schlussakt "Shallows" uns zuerst vor lauter Schönheit vom Stuhl haut, uns anschließend vor Schmerz das Herz bricht und uns ganz zum Schluss schließlich voller Euphorie und Hoffnungsschimmer wieder aufbaut und bestärkt. Der Sturm ist vorbei, die innere Unruhe bleibt - hoffentlich noch eine ganze Weile.

(Jennifer Depner)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Smother
  • Youth
  • Touch
  • Shallows

Tracklist

  1. Winter
  2. Smother
  3. Youth
  4. Still
  5. Lifeforms
  6. Tomorrow
  7. Human
  8. Touch
  9. Amsterdam
  10. Shallows
Gesamtspielzeit: 46:04 min

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Desare Nezitic

2014-08-12 15:17:17

Bei mir war das Album mit massivem Vorsprung auf Platz 1. Dahinter kam Austras "Olympia" mit mit irgendwas zwischen 8.7-8.9 (höre es mir nachher nochmal an).

Zu "Lifeforms": Richtig. Grenzt sich stilistisch schon deutlich von der vierteiligen Popsong-Parade ab, hält aber das hohe Niveau problemlos.

nörtz

2014-08-12 14:43:33

"Lifeforms" ist ganz groß. Dieser postrockige Ausbruch da ab 04:10...

MopedTobias (Marvin)

2014-08-12 14:39:58

Nein, nicht Arcade Fire, auch wenn ich Reflektor insgesamt noch leicht besser finde :D die Gesamtstimmung und -spannung sind natürlich bemerkenswert, trotzdem ragen für mich die ersten drei Songs (gut, Still von mir aus auch noch) und Human aus dem Rest heraus.

8,5/10. Mein Platz 4 letztes Jahr, wenn ich mich nicht irre.

Desare Nezitic

2014-08-12 14:34:42

@MopedTobias

Höre es mittlerweile nicht mehr so oft, zu exzessiv habe ich das bis zum Frühling gehört. Zum Sommerwetter greife ich eher zu den beiden vorherigen EPs. Gerade die erste hat noch diesen trockenen Folk, der irgendwie gut zum Hitzeflimmern passt =D

Die ersten drei Songs sind immer noch die wunderbarsten Momente des letzten Musikjahres.

Nicht Arcade Fire? ;D Würde jedoch bis "Still" weitergehen, noch viel besser als das gehypte "Youth". Der Song geht natürlich klar, halte ihn aber nur für einen von vielen auf dem Album. Aber eigentlich kannst du das ganze Album an sich nehmen. Die schaffen es tatsächlich über die GESAMTE Dauer die Spannung zu halten. Selbst das an sich ziemlich laue "Touch" wird noch mit durchgetragen.
"Human" ist zudem der beste Coldplaysong seit nun fast einer Dekade.

Insgesamt liegt das Album bei mir auf einer 9.6(/10). Popalben, die ich (ganz subjekti natürlich) marginal schlechter bewertet habe sind z.B. "Power, Corruption & Lies", "Thriller" und "Music for the Masses". Prosit.

MopedTobias (Marvin)

2014-08-11 18:46:08

Immer noch absolut verzaubernd. Die ersten drei Songs sind immer noch die wunderbarsten Momente des letzten Musikjahres.

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