Steven Wilson - The raven that refused to sing (And other stories)
Kscope / EdelVÖ: 01.03.2013
Tales of mystery and imagination
Wollte man Steven Wilson Böses, so könnte man ihm heillosen Egoismus andichten. Seine Anfänge? Fanden nicht etwa als Musiker, sondern als Quasi-Produzent statt, indem er als Teenager an Papis Bandmaschine schraubte und sich als Vehikel eine fiktive Band namens Porcupine Tree ausdachte. Die bekanntermaßen später eine "richtige" Gruppe wurden und von Wilson unlängst auf Eis gelegt wurden, als das Bandgefüge ihn nach eigener Aussage zu sehr einengte. Oder nehmen wir mal seine zahlreichen Projekte wie Bass Communion, die eher der Tüftelei dienen denn als musikalisches Sprachrohr. Auf der anderen Seite gibt es wenige derart profunde Kenner der Prog-Szene, für die Tellerränder eher als Aussichtsplattform dienen und nicht als natürliche Grenze des Schaffens, sei es in der Zusammenarbeit mit Opeth oder in der Aufgabe, Platten von Jethro Tull oder King Crimson in behutsamen Remixen neues Leben einzuhauchen.
Wenn man also weiß, dass Wilson seit jeher derlei Einflüsse wie ein Schwamm aufnimmt, besteht die Überraschung nach den ersten Minuten von "The raven that refused to sing (And other stories)" nicht etwa darin, dass das eröffnende "Luminol" ein derart wildes Gewitter aus eben jenen King Crimson, verzwicktem Canterbury-Gefrickel und jazzigen Passagen ist, sondern dass diese vermeintlich krude Mixtur tatsächlich meisterhaft funktioniert. Was nach den ersten Durchläufen schwer verdaulicher Artrock zu sein scheint, frisst sich immer weiter ins Hirn, bis auch wirklich jede Nuance erforscht ist - kongenial umgesetzt von brillanten Musikern wie beispielsweise Marco Minnemann, der am Schlagzeug jeden Taktwechsel, jedes Break derart filigran performt, als seien es Übungsstunden zwischen Frühstück und Mittagessen.
Apropos filigran: Es sind immer wieder diese faszinierenden, fragilen Breaks, die aus Songs wie "The holy drinker" oder dem Mittelteil von "The pin drop" wahre Kunstwerke machen, ganz im Sinne des Albumkontexts, einer Sammlung übernatürlicher Geschichten - einen gewissen Edgar Allan Poe nicht nur zufällig im Plattentitel zitierend. Und wenn Wilson dazu die bittersüße Ballade "Drive home" einstreut, ist das auch wegen des leicht an das großartige "Shesmovedon" aus dem Jahr 2000 erinnernden Refrains herzzerreißend schön.
Spätestens mit "The watchmaker", dessen erste Hälfte genau so auf "Selling England by the pound", einem der wichtigsten Genesis-Alben der frühen Phase, Platz gefunden hätte, ist endgültig klar, dass "The raven that refused to sing (And other stories)" Eklektizismus in Vollendung ist. Unterstützt durch niemand Geringeren als Alan Parsons, der bekanntermaßen bereits 1973 Pink Floyds "The dark side of the moon" in ein für die damalige Zeit beeindruckendes Klanggewand hüllte, zitiert Wilson nicht nur, er verbeugt sich vor seinen musikalischen Vorbildern, indem er die überbordende Kreativität der frühen Siebziger von ihrem seinerzeit durchaus vorhandenen Narzissmus trennt und in die Neuzeit transportiert. Gepaart mit der Wilson so eigenen Melancholie und Faszination fürs Düstere ist das große Kunst. Prachtvoll.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Luminol
- The holy drinker
- The watchmaker
- The raven that refused to sing
Tracklist
- Luminol
- Drive home
- The holy drinker
- The pin drop
- The watchmaker
- The raven that refused to sing
Im Forum kommentieren
Vennart
2019-10-28 00:46:51
Top Alben, die hier genannt wurden!
"Vier" finde ich auch groß, Native Construct sind toll und vor allem für BTBAM Fans ein Muss! Schade, dass die sich nach einem Album schon aufgelöst haben.
"Empath" ist schon echt ein Brocken, auf jeden Fall unterhaltsam, mir aber etwas zu viel von allem :)
Was so klassischen Progsound angeht würde ich noch Alben von Wobbler nennen, "Rites at Dawn" und "From Silence to Somewhere" sind Prädikat besonders wertvoll. Ansonsten checke ich noch die mir unbekannten Nennungen aus, ist ja einiges dabei.
Und natürlich dürfen hier sämtliche Alben von Haken und Wilsons Meisterwerk "Hand.Cannot.Erase." nicht fehlen.
hexed all
2019-10-26 21:56:03
Definitiv gute Picks. Empath ist für mich auch die Überraschung des Jahres. Hinzufügen würde ich noch Bran Coucou von Piniol, ein beliebiges Album von Thank You Scientist (alle top), Native Construct und Cryptic Plumage von The Laze.
Als eine der besseren Metal->Rock Bands haben sich für mich auch Between the Buried & Me hervorgetan, wobei die nicht so radikal vom Metal-Zug abgesprungen sind wie z.B. Opeth.
Watchful_Eye
2019-10-26 01:41:50
Gute Auswahl! :) Vier und das Einhorn.. Arch/Matheos..
Birds and Buildings hab ich mal vor Ewigkeiten probiert, kann mich gar nicht mehr erinnern, wie die klangen.. könnte ich mal wieder.
Analog Kid
2019-10-26 01:07:27
@hexed
Ok ein wenig offtopic natürlich, aber mal ein paar:
Perfect Beings - Vier - ganz weit vorn für mich, könnte Progalbum des Jahrzehnts für mich sein.
"Death Defying Unicorn" natürlich.
"Multipurpose Trap" von Birds and Buildings, würde noch ein bisschen lieber das Debüt nehmen, aber das ist leider schon von 2008 :)
Eine der letzten beiden Echolyn, kann mich nicht entscheiden welche.
"Empath" von Devin Townsend. Ohne Scheiss, die wird und wird mir nicht langweilig, der Typ hat hier m.E. ein Jahrhundertalbum rausgehauen, das bei mir definitiv ganz oben mitrankt.
Arch/Matheos, Haken fallen mir noch ein...
Hab garantiert noch was vergessen...
hexed all
2019-10-26 00:15:05
Musst dazu aber auch sagen, dass ich Storm Corrosion was "bahnbrechenden Prog" angeht auch viel interessanter fand als alles, was die beiden sonst gemacht haben in den letzten Jahren.
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