Clinic - Free reign II

Domino / GoodToGo
VÖ: 01.03.2013
Unsere Bewertung: 6/10
6/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10
8/10

Zurück in den Nebel

Einen Hang zum Exzentrischen hatten Clinic aus Liverpool bekanntermaßen ja schon seit Tag eins ihrer schwindelnden Karriere. Es ist keine fünf Monate her, dass "Free reign" uns "Kaskaden im Nebel" bescherte und die Hörer mit wohliger Monotonie entließ. Das siebte Langspielergebnis der Herren Doktoren war ein kleines Grower-Juwel. Strahlend, fordernd, einnehmend. Jetzt stapeln die Briten mit "Free reign II" nach und erklären mit englischem Manierismus, was Mephistopheles an Faust gewandt im Studierzimmer wohl gemeint haben mag, als er sagte: "Der Pudel merkte nichts als er hereingesprungen / Die Sache sieht jetzt anders aus / Der Teufel kann nicht aus dem Haus." Wie recht der olle Goethe mit seiner mephistophelischen Figur doch hatte. Steckt der Teufel erst einmal in der Bude, besser im Detail, kommt er so schnell nicht mehr raus. Jetzt müssen auch Clinic mit diesem Spießgesellen wohl oder übel einige Zeit verbringen.

"Free reign" scheint die Band nicht losgelassen zu haben. Ein solch abgründiges Album forderte wohl einen Nachschlag. Oder eine Erklärung. Und wie jeder guten "Faust"-Ausgabe stets ein Kommentar beigefügt wird, legen die Briten ihrem verflixten Siebten auch eine Beigabe zu: "Free reign II" nämlich. Daniel Lopatin, der "Miss you" und "You" von "Free reign" mit seinem Kollegen Al Carlson abmischte, erklärte sich kurzerhand bereit, alternative Versionen aller Songs dieses warbernden und gluckernden Ungetüms von Platte zu (re)konstruieren. Lopatin ist der Kopf hinter Oneohtrix Point Never, dessen Klanggebilde von einem Pitchfork-Rezensenten irgendwo im Bereich zwischen Ambient und Drone angesiedelt werden. Der Vergleich mag auf seine Art zutreffen, wenn man Musik nach Schubladen ordnet. Aber so richtig treffen die Labels dann auch wieder nicht. Ist man ehrlich, lassen sich Lopatins Musikkreationen kaum einer gängigen Kategorie zuordnen, auch wenn ein Drone-Vergleich durch die Artwork-Gestaltung von Stephen O'Malley von Sunn O))), den Göttern des Drone, für Lopatins 2010er Opus "Returnal", genug Anlass für Spekulationen um Kategoriebildungen beschert. Aber für simples Schubladendenken ist Lopatins Spektrum einfach zu durchwachsen. Ob sich Clinic damit einen Gefallen getan haben, ihre ohnehin mit Fragezeichen versehenen Songs von einem solchen Musikderwisch dekonstruieren zu lassen? Viele Antworten auf die Fragen bezüglich des siebten Outputs werden von Lopatin denn auch nicht gegeben, sondern noch mehr verschleiert. Aus dem Mechanischen, Kalten, Abgebrühten des Originals wird der Hörer in etwas noch Fremdartigeres geworfen.

Lopatin gibt sich alle Mühe, die Songs zu rearrangieren, indem er sie anatomisiert, molekularisiert und dann mit Pattex verschweißt. Dabei erwartet den Hörer zu Anfang schon ein harter Brocken. "Sun and the moon II" versinkt in lärmend krachigen Schwällen aus angeheiterten, disharmonischen Saxophonschnipseln und einem monotonen Scheppern, dass der Kopf sofort nach Aspirin schreit. "You" kalmiert sich in dieser Hinsicht massiv und gefällt in seiner Dissonanz mit klapprigem Gluckerbeat ganz gut. Allerdings verliert Ashburn trotz leichter Stimmverzerrung mehr und mehr seine ursprüngliche Bedeutung als atmendes Instrument und erinnert in seiner nuschelnden Langeweile an Thom Yorkes Darbietung während des "Kid A"-Umbruchs. Dubbig verliert sich seine Stimme im Hintergrund. Dieses ständige Wabern ist etwas zu viel des Guten. Folgt man den Stücken durch ihre vielfältigen Manipulationen, fällt auf, dass Lopatin in erster Linie die ohnehin unscharfen Konturen von "Free reign" noch weiter verwischt. Im Grunde verpasst er Clinic einen psychedelischeres, monotoneres sowie dissonanteres Klangbild. Dazu werkelt er einige verschrobene Beats dazu, und fertig stehen die präsentierten Remixe vor aller Augen und Ohren. So auch bei dem ohnehin grandiosen "Miss you". Es klackert und gluckert, dass man fast vom Glauben abfällt. So kann es leicht passieren, dass Lied zehn, welches es aus unerfindlichen Gründen nicht auf "Free reign" geschafft hat, nämlich "Done and dusted II", kurzerhand untergeht. Was im Titel nach Entstaubung klingen soll, wird vielmehr zum Gegenteil des Intendierten.

Schon aus den vielen Nine-Inch-Nails-Remixalben ließ sich eines als Binsenweisheit extrahieren: Nur ein starker Song vermag einen Remix zu tragen. Dank des genialen Originalgerüsts können Lopatins "Visionen" nicht in Belanglosigkeit versickern. "Free reign II" versucht mit einem stilistischen Salto Mortale eine Geisterbahnfahrt ins Nebulöse zu erzeugen. Aber was antwortet der Teufel auf die Frage, ob er ein Virtuose sei? Ganz einfach: "O nein! die Kraft ist schwach, allein die Lust ist groß." Bevor dem Teufel gefolgt wird, sollte er selbst beim Wort genommen werden.

(Peter Somogyi)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • You II
  • Miss you II

Tracklist

  1. Sun & moon II
  2. You II
  3. King Kong II
  4. For the season II
  5. Miss you II
  6. Cosmic radiation II
  7. Seamless boogie woogie BBC 10pm (rpt) II
  8. See saw II
  9. Misty II
  10. Done & dusted II
Gesamtspielzeit: 43:08 min

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