Biffy Clyro - Opposites

14th Floor / Warner
VÖ: 25.01.2013
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Größer als

Es hat ja doch keinen Sinn. Soll man Biffy Clyros ersten drei Alben wirklich noch hinterhertrauern? Soll man die gut getimten Wutausbrüche, die gebrochenen Rhythmen und die teils seltsamen Soundeinwürfe tatsächlich noch länger vermissen? Die Band verleugnet ihre Vergangenheit zwar nicht, aber sie ist auf ihrer sechsten Platte mittlerweile ganz woanders. Nichts macht das deutlicher als die Entscheidung, ein Doppelalbum aufzunehmen. Wobei man sich schon fragt, warum man die knapp 78 Minuten nicht auf eine CD gepresst hat. Der Sound und die Songs auf "Opposites" sind noch opulenter, hymnischer, eingängiger als sie es auf "Only revolutions" schon waren. Simon Neils Gitarren schlagen zwar weiterhin Haken wie tollwütige Kaninchen, und Angst vor Lautstärke haben die Schotten auch keine bekommen. Trotzdem passt sich alles perfekt ein in das Gefühl, dass Stadien langsam zu klein sind für Biffy Clyro.

Die einzige Entscheidung, die man als Hörer zu treffen hat, ist diese Perfektion entweder zu umarmen oder zu verachten. Versuchen wir es mal mit ersterem. Die Harmonien, die Biffy Clyro mit Streichern, Chören, Gitarrenwänden, Händen und Füßen zusammenschweißen, sind auf bewundernswerte Weise beängstigend. "Biblical" zum Beispiel setzt in dieser Hinsicht und bei geglücktem Größenwahn neue Maßstäbe. Was da aus dem Hintergrund den Refrain aus den Boxen drückt, lässt sich kaum noch fassen. Die Band kann sich das erlauben, weil sie mit atemberaubender Sicherheit auf dem schmalen Grat zwischen absolutem Kitsch und großer Rockmusik balanciert. Ironisch meinen Biffy Clyro das schon länger nicht mehr, also muss man geglückte Orchesterstücke wie "Trumpet or tap" und "Victory over the sun" wohl einfach ernst nehmen.

"Keine Füller", hat Ben Johnston im Vorfeld versprochen. Dass daran schon ganz andere Bands mit ihren Doppelalben gescheitert sind, ist ihm sicher klar. Biffy Clyro tun das nicht. Unter den 20 Songs findet sich tatsächlich kein Ausfall. Klar, allein auf der ersten Albumhälfte hat die Band schon zweieinhalb Halbballaden untergebracht. Aber das ist nur eine konsequente Entwicklung und ändert nichts an der Wucht, die die Band hinter jeden einzelnen Song packt. Zudem legen Biffy Clyro auf der zweiten CD eher noch mal nach. Der brutal lärmende Kracher "Modern magic formula", die Texmex-Trompeten in "Spanish radio" und wunderbar gutgelaunte Midtempo-Stampfer "Pocket" heben mit ihrer Leichtigkeit das Euphorie-Level von "Opposites" ganz ungemein. Und das alles, nachdem "Stingin' belle" die zweite Hälfte bereits mit wehenden Fahnen und Dudelsäcken eröffnet hat.

Die ersten zehn Songs atmen etwas schwerere Luft. Der Opener "Different people" braucht über zwei Minuten, um aus den Puschen zu kommen, dreht aber mit einem würdigen Riff und starken Gesangslinien ordentlich auf. Von Anfang an ist klar, dass Biffy Clyro hier über 80 Minuten kompromisslos klotzen. Die erste Single "Black chandelier" stapelt allerdings trotz allem Pathos ein bisschen tief, vor allem im Vergleich mit dem folgenden "Sounds like balloons", dessen vertrackte Strophe butterweich in einen der besten Refrains der Platte übergeht. Die erste Ballade "Opposite" zeigt, dass Simon Neils Textkünste sich nicht mehr nur auf bedeutungsschwangere Metaphern verlassen, sondern der Mann auch ganz konkret und damit umso berührender schreiben kann: "Baby, I'm leaving here / You need to be with somebody else / I can't stop bleeding here / Can you suture my wounds?"

Das Lob ließe sich problem auf den Rest der Songs ausweiten. "Little hospitals" zum Beispiel! Oder "A girl and his cat"! "Opposites" ist in gerader Linie die logische Folge und perfekte Umsetzung der Entwicklung Biffy Clyros in auf den vergangenen zwei Alben. Immer vorausgesetzt, man lässt sich nicht von dem zuckrigen Pomp abschrecken, der mittlerweile wohl einfach dazugehört wie Guss auf den Butterkuchen. Bleibt nur die Frage, in welchem Umfeld diese Musik noch angemessen auf eine Bühne passt.

(Maik Maerten)

Bei Amazon bestellen / Preis prüfen für CD, Vinyl und Download
Bei JPC bestellen / Preis prüfen für CD und Vinyl

Highlights & Tracklist

Highlights

  • Sounds like balloons
  • Biblical
  • Little hospitals
  • Modern magic formula
  • Pocket
  • Trumpet or tap

Tracklist

  • CD 1
    1. Different people
    2. Black chandelier
    3. Sounds like balloons
    4. Opposite
    5. The joke's on us
    6. Biblical
    7. A girl and his cat
    8. The fog
    9. Little hospitals
    10. The thaw
  • CD 2
    1. Stingin' belle
    2. Modern magic formula
    3. Spanish radio
    4. Victory over the sun
    5. Pocket
    6. Trumpet or tap
    7. Skylight
    8. Accident without emergency
    9. Woo woo
    10. Picture a knife fight
Gesamtspielzeit: 77:47 min

Im Forum kommentieren

Affengitarre

2021-04-27 10:12:10

Das Album lässt mich zur Zeit echt nicht los. Klasse, wie viele Seiten der Band dann doch gezeigt werden und wie gut das alles funktioniert. Balladen wie der Titeltrack, experimentellere Sachen wie "The Fog", lockere Geschichten wie das tolle "Spanish Radio", Stadionrocksongs wie "Black Chandelier", alles klappt. Und in vielen Songs sind trotz der klar poppigeren Ausrichtung wieder so viele kleine Haken dabei, der kleine Ausbruch in "Black Chandelier", das epische Finale von "Stingin' Bell", ein Fest. Und dabei fand ich es lange Zeit nur okay.

Affengitarre

2021-04-21 00:13:10

Gehe ich auch mit, unfassbar, wie sie da abgeliefert haben. Bisschen wie bei den Smashing Pumpkins und der "Mellon Collie...", wobei ich die persönlich noch ein paar Klassen darüber sehe. Die 14-Track-Version ist Quatsch, das stimmt. Ich höre das Album sogar am liebsten mit 22 Tracks, da kommen noch die beiden Instrumentals "The Sand at the Core of Our Bones" und "The Land at the End of Our Toes". Interessant finde ich aber, wie das Album hier und auch die "Puzzle" im Laufe der Zeit bei mir gewachsen sind. Trotz der vermeintlich einfachen Songs sind das doch ziemliche Grower bei mir.

jo

2021-04-21 00:05:29

Auch da stimme ich zu. Für mich (auf die komplette Länge gesehen) sogar die beste Album-und-B-Seiten-Kombination ihrer Diskografie.

Felix H

2021-04-20 23:49:13

Die 14-Track-Version ist doof und inkonsequent. Zumal das Album wirklich nichts groß hat, was man wegschneiden müsste. Beeindruckend.
Auf "Similarities" haben sie auf ähnlichem Niveau abgeliefert.

jo

2021-04-20 23:39:50

Kann auch hier wieder nur zustimmen - mochte aber den Titeltrack und natürlich auch "Different People" schon immer sehr :). Auf jeden Fall sollte man auch die 20-Song-Version haben, sonst fehlen tolle Songs wie "A Girl and His Cat" (warum auch immer gerade der...).

Hinterlasse uns eine Nachricht, warum Du diesen Post melden möchtest.

Spotify

Threads im Forum