Lindi Ortega - Cigarettes & truckstops

Last Gang / PIAS / Rough Trade
VÖ: 18.01.2013
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Grinsende Revolte

Die Werte Nashvilles als Marke des traditionellen Country finden sich überall. Welche da sind: politische Inkorrektheit mit verquast-sexistischer Attitüde. Die Geschlechter werden da noch gerne voller Klischees nach altbackenen Rollenmustern positioniert. Überkommene Bilder von Männlichkeit werden hochgehalten, denen hübsche, naiv-dümmliche Frauchen unterwürfig hinterherhecheln. Im Grunde das, was Lana Del Rey in "Blue jeans" ordentlich, mit einer dreisten melancholischen Unternote, auf die Schippe zieht. Gegen solche Fehlvorstellungen können schließlich nur Zynismus, Sarkasmus und Ironie helfen. Bedauerlicherweise zeigt sich, dass jene alten Werte besonders im Genre des Country so gut wie kaum ausrottbar sind. Wie gut, dass Lindi Ortega mit ihrem zweiten Album wieder das versucht, was sie am besten kann: den großen Ausbruch.

Ortega, "das imaginäre Wunschkind von Johnny Cash und Nancy Sinatra", wie sie der American Songwriter tituliert, zeigte auf dem Vorgänger "Little red boots", dass mit einem guten Schuss Alternative, Blues und Rockabily, morsche Country-Idiome besser gebrochen als gedüngt werden. Wo Vogelscheuchen als Monumente des Sexismus über die Saat der Homophobie wachen, platziert Ortega lieber einen neongelben Clown mit Ringelpulli und pinken halterlosen Strümpfen in der trockenen Prärie alt-amerikanischer Country-Vorstellungen. Denn was ist schon die in Schmachtschmonzetten vielbesungene Liebe des traditionellen Hetero-Paares, zusammengeschustert aus Kuhtreiber oder hartem Brad-Pitt-gesichtigem Fernfahrer und treu liebender Hausmutter? In "The day you die" wird dem Hörer eine klare Antwort geboten: "You said you'd love me 'til the cows come home / Well I'm hoping, that they all go blind." Das zu einer leeren Worthülse verkommene Wort "Liebe" bekommt die sterile Maske des Zahnpasta-Grinsens entrissen und wird als das entblößt, was es ist: als ein schlechter Witz. Warum leeres Phrasenschwein-Gedresche von ewiger, wahrer Liebe in der ungezählten Wiederholung mit einer antriebslosen Darstellung weiter verherrlichen? Verrecken tun alle, schneller geht's auf dem Pferd mit Marlboro. In einer Welt voller schlechter Witze, in der letztlich nur noch ein Grinsen ohne Katze zu finden ist, da diese längst das Zeitliche gesegnet hat, ist Ortega wirklich etwas: Sie ist witzig.

Bei Ortega macht der Cowboyhut noch lange keinen Mann, aber auch keine Frau. Aber dass die gebürtige Kanadierin süchtiger macht als jede Droge, betont sie in "Use me" sehr klar. Selbstbewusstsein braucht kein Verstecken hinter althergebrachten Traditionen. "Cigarettes and truckstops" spielt mit weiteren zu Klischees verkommenen Phrasen, verulkt scheckig glucksend das Lieblingssujet des alten Country, doch kann es gleichzeitig mit bierernster Nachdenklichkeit nach dem Gelingen einer zwischenmenschlichen Paarbeziehung fragen. Ist ein Gefühl zwischen zwei Menschen aufrechtzuerhalten? Wenn ja, wie?

Statt Whisky und Bier gibt es bei Lindi Ortega trockenen Roten. Wer rülpst, ist selbst schuld. Wo Frauen gewöhnlich entblößt an der Stange kleben, lehnt sich Ortega dezent zurück und zeigt, was richtiger Americana infizierter Alternative-Blues-Country sein sollte: nämlich Hellyeah. Und dies ist bei weitem mehr als die in traurigen Posen erstarrte Musik eierloser Hengste gleichen Namens im Pseudometal, deren Mannen die Werte Nashvilles in die von Rednecks verseuchte texanische Wüste importieren und dort ein in Stein geschlagenes Monument ihrer angenommenen Männlichkeit errichten, einen zerbrechlichen Altar der Maskulinität, auf dem sie sich sexistisch zu bräunen belieben. Ortega dagegen braucht keinen Cowboyhut und keinen Sexismus. Nur eine Gitarre und ihre Stimme.

(Peter Somogyi)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Cigarettes & truckstops
  • The day you die
  • Don't wanna hear it
  • Murder of crows

Tracklist

  1. Cigarettes & truckstops
  2. The day you die
  3. Lead me on
  4. Don't wanna hear it
  5. Demons don't get me down
  6. Murder ofk crows
  7. Heaven has no vacancy
  8. High
  9. Use me
  10. Every mile of the ride
Gesamtspielzeit: 37:53 min

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