Breathless - Green to blue
Tenor Vossa / Broken SilenceVÖ: 23.11.2012
Freud am Leid
Es scheint zu stimmen: Man muss leiden, um dichten zu können. Oder um Lieder zu schreiben. Eine Erkenntnis, von der seit Mitte der achtziger Jahre die Platten der Briten Breathless Zeugnis ablegen - mit elegischem, düsterem Dream Pop und programmatischen Albumtiteln wie "Between heartache and happiness" oder "Blue moon". Doch trotz rund 25 Jahren Bandgeschichte kennt man Frontmann Dominic Appleton immer noch eher vom 4AD-Allstarprojekt This Mortal Coil, für das er mit seinem melancholisch erstickten Bariton einst diverse Coverversionen veredelte - etwa "The jeweller" von den Psych-Folkern Pearls Before Swine oder "Strength of strings", einen Herzreißer aus der Feder von Byrds-Mitbegründer Gene Clark.
Auf dem siebten Breathless-Studioalbum präsentieren Appleton und seine Musiker dagegen erneut ausschließlich eigenes Material - und strafen den Bandnamen weiterhin Lügen: Außer Atem, gehetzt oder gar übers Knie gebrochen ist hier nichts. Herzen brechen auf den beiden Tonträgern von "Green to blue" dafür gleich reihenweise. Romantisch unbegabte Pop-Pragmatiker, für die ein Song in drei bis vier Minuten erledigt sein muss, werden die Nase darüber rümpfen, dass das Quartett dieses Format kaum einmal einhält - alle anderen schweben schon nach der luftig-halbakustischen Beschwörung "I want you to realise" und dem herrlich unscharf zersplitternden Farbenrausch von "Next time you fall" bar jedes Zeitgefühls meterweit über dem Boden der Tatsachen.
Einmal müssen es sogar über elf Minuten sein, wenn sich "Walk away" tosend zu einem Monolith aus übereinandergeschichteten Gitarren aufschwingt und im Zeitraffer Drone und Space Rock vorbeirauschen. Zuweilen geleiten Breathless in ihrer schweren Melancholie ähnlich somnambul durch "Green to blue" wie The Cure durch ihr Meisterwerk "Disintegration" - nicht umsonst ähnelt "The same rooms without you" nicht nur im Titel Robert Smiths Monumentalballade "The same deep water as you". Songs ziehen sich an und stoßen sich wieder ab, und dem rührseligen, vergleichsweise konzisen Durchhänger "Rain down now" folgt mit "Fade away" eine wunderbar ausgewaschene Shoegaze-Moritat, bei der selbst die Gitarren nicht recht wissen, ob sie nun jubilieren oder wehklagen sollen.
Damals wie heute überlässt die Band dabei nichts dem Zufall: Sorgte einst Produzentenlegende und This-Mortal-Coil-Mitbetreiber John Fryer für den guten ätherischen Ton, sitzt nun Ex-Bongwater-Mitglied Mark Kramer am Mischpult, während sich Dark-Folk-Veteranin Heidi Berry für "Just for today" zu einer himmlischen Gesangseinlage hinreißen lässt. Auch im Dream Pop gilt eben der Satz, den sich Genre-Dinosaurier wie The Jesus & Mary Chain oder My Bloody Valentine ob ihrer seit einer halben Ewigkeit erwarteten Comebacks hinter die Ohren schreiben sollten: Es gibt nichts Gutes, außer man tut es. Breathless tun Gutes - und Appletons Leid ist vermutlich nicht nur des Hörers, sondern auch seine eigene Freud, wenn es so magische Resultate zeitigt wie "Green to blue". Ein kleines Meisterwerk im großen Stil.
Highlights & Tracklist
Highlights
- I want you to realise
- Next time you fall
- Walk away
- Fade away
Tracklist
- CD 1
- Please be happy
- I want you to realise
- Next time you fall
- Everything is us
- It's good to see you
- Walk away
- CD 2
- Rain down now
- Fade away
- The same rooms without you
- Just for today
- The last light of day
Referenzen