Villagers - {Awayland}

Domino / GoodToGo
VÖ: 11.01.2013
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Verstörend betörend

Bis heute fällt es schwer zu sagen, was Villagers aus Irland eigentlich genau sind. Ist hier eine richtige Band am Werk, die in gemeinschaftlicher Arbeit ihre Alben aufnimmt und auf Tour geht? Oder ist das hier doch nur das einsame Kunstwerk des schüchtern und bisweilen diabolisch dreinblickenden Conor O'Brien, der den anderen Musikern zwar Credits einräumt, aber im Grunde eben doch alles irgendwie auf eigene Faust macht? Das Debüt "Becoming a jackal" sah ganz stark nach der zweiten Variante aus. Der Nachfolger "{Awayland}" schlägt allerdings ganz andere, größere, elektronischere Töne an und überrascht mit einem gepflegten Spiel mit den Erwartungen an die Band sowie mit einer Absage an den Durchbruch. Ein weiteres intimes Folkalbum hätte O'Brien auch super gestanden, klar. Befürchtungen aber, dass eine Neuorientierung nach hinten losgehen könnte, brauchen wir bei Villagers eh nicht zu haben. O'Brien hatte mit dem Debüt ja bereits sein feines Händchen für Kompositionen bewiesen. Was O'Brien hier nun ganz bewusst zelebriert, ist die Verweigerung. Keine im ganz großen Rahmen wie damals bei Radiohead und "Kid A", sondern eine, die trotzdem noch wunderbar in den Rahmen passt, den Villagers mit dem fabelhaften "Becoming a jackal" selber gesteckt haben. Auch wenn "{Awayland}" diesen nur noch hin und wieder streift.

Den Einstieg mit dem winterlichen Mehrstimmenfolk "My lighthouse" macht einem O'Brien noch ziemlich leicht. Umwerfendes Understatement. Doch direkt danach beginnen Villagers, die Zuhörfähigkeiten zu strapazieren. "{Awayland}" verlangt von nun an höchste Aufmerksamkeit und Hingabe. Durch "Earthly pleasures" sprechsingt sich O'Brien und zaubert irgendwoher einen fabelhaften Refrain. Die anschließenden Songs lassen sich in die elektronische Richtung treiben, ohne jemals den richtigen Weg aus den Augen zu lassen, ohne jemals ihren zauberhaft fragilen Charme, dieses seltsam Entrückte und Verträumte, zu verlieren. Bläser, Streicher, hoppelnde Beats und Drums, Lyrics aus einer schöneren und für eine schönere Welt, "Let the waves cover the coastal plain / The fear and the guilt and the pain", entfährt es O'Brien in der ersten Single "The waves", die mehr als sonst an Conor Oberst erinnert, nicht nur wegen des Noise-Ausbruchs am Schluss. Vieles auf dieser Platte ist zwar leicht verstörend, aber trotz allem einfach betörend. Gen Ende von "{Awayland}" ändert sich noch einmal der Ton, und das Album wird deutlich sinfonischer, streicherlastiger und sogar wieder etwas anschmiegsamer.

Inmitten dieser wunderbaren Verweigerung vor dem großen Erfolg findet sich der wohl bisher größte Song von O'Brien, "Nothing arrived", der mit "I waited for something / And something died / So I waited for nothing / And nothing arrived" schon jetzt die Latte für die bitterste Textzeile des Jahres ganz schön hoch gelegt hat. "Nothing arrived" ist der große Pop-Entwurf dieser Band. Schon wieder diese Streicher, diese herzerweichende Klaviermelodie, das ganze Pipapo drumherum und ein Refrain zum Niederknien. Hier sieht man, wozu O'Brien in der Lage wäre, wenn er denn nur wirklich wollte. Aber zum Glück wählt O'Brien die künstlerische Freiheit, haut nur einen einzigen solchen Song raus und zeigt uns ansonsten die lange Nase. Ein ganzes Album mit Stücken wie "Nothing arrived" wäre mit Sicherheit der kommerzielle Durchbruch für Villagers. Aber wahrscheinlich wäre das musikalische Korsett für einen Eigenbrödler wie O'Brien in Zukunft einfach zu eng gewesen. Nur ein einziges Mal, in "Grateful song", schwingen sich Villagers kurz in ähnliche Höhen auf, brechen aber just in dem Moment ab, in dem das Stück die volle Wucht entfalten könnte.

So ist "{Awayland}" also viel mehr künstlerisches Stückwerk als "Becoming a jackal", fällt aber trotz der vielen kleinen Versatzteile und der Gemeinheiten, die uns O'Brien hier und dort vor den Latz knallt, niemals auseinander. Man schüttelt den Kopf, ist aber fasziniert, dass das alles so hinreißend herzerwärmend funktioniert. Erstaunlich ist, dass sich O'Brien bereits jetzt, mit seinem zweiten Album, eine größtmögliche Narrenfreiheit erarbeitet hat. Die Zukunft dieser kleinen irischen Mehr-oder-weniger-ein-Mann-Band mit einer Handvoll Extramusikern wird spannend werden. Aber heute und für etwas längere Zeit gilt die volle Aufmerksamkeit erst einmal "{Awayland}". Ein kleiner Knicks vor einem großen Album.

(Kai Wehmeier)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • My lighthouse
  • The waves
  • Nothing arrived
  • Grateful song

Tracklist

  1. My lighthouse
  2. Earthly pleasure
  3. The waves
  4. Judgement call
  5. Nothing arrived
  6. The bell
  7. {Awayland}
  8. Passing a message
  9. Grateful song
  10. In a newfound land you are free
  11. Rhythm composer
Gesamtspielzeit: 42:08 min

Im Forum kommentieren

Andi

2013-12-09 15:18:26

Scheint wohl die einzige Aufnahma von Hot Scary Summer zu sein:

https://www.youtube.com/watch?v=oDUnTOasdpo

Wunderschöner Abschluss eines grandiosen Konzerts mit perfektem Sound am letzten Samstag. Außerdem ein sehr sympathischer Haufen, mit dem man nach dem Konzert gut ein paar (viele) Bierchen zischen kann (bzw. sogar dazu eingeladen wird). Laut Schlagzeuger ist Hot Scary Summer brandneu und auf der nächsten Platte. Rhythm Composer spielen sie übrigens so selten, weil sie es ihrer Meinung nach live nicht so gut umsetzen können, dass es dem Song gerecht würde.

musie

2013-12-03 06:48:23

ist auch mein letztes konzert des jahres. und eins der ersten waren sie auch. nr29 (ohne festivals). ein sehr ertragreiches konzertjahr :-)

qwertz

2013-12-02 22:17:28

Obwohl ich mit dem Album nur zur Hälfte etwas anfangen kann (wenn überhaupt), hab ich mir die jetzt mal live angesehen. - Und wurde äußerst positiv überrascht. Ganz tolles Konzert und supersympathische Band. Ich war nicht der einzige, der während der knapp 90 Minuten Lächeln auf dem Gesicht hatte - sei es ob des fantastischen Sounds, der live überzeugenden Songs, der intimen Kulisse oder der verdammt gutaussehenden Musiker. Leider haben sie mit "Rythm Composer" meinen Lieblingssong ausgelassen, dafür aber wohl ein ganz neues Stück performt. Großartiger Abschluss für ein tolles Konzertjahr! Kann ich nur weiterempfehlen.

The MACHINA of God

2013-09-15 16:31:37

Eigenttlich echt gut. UNd live auf dem Berlin-Festival auch ganz unterhaltsam...

EastBam

2013-09-14 23:14:19

Wow! Pfeife mir grad eine Flasche Whiskey wegen Liebeskummer und dem ganzen Scheiß rein und höre nebenbei die Pladde. Ich weiß grad nicht. ob olle Jim mir einen Leberhaken verpasst hat oder "Nothing arrived". Geiles Zeug. Ich muss jetzt erstmal gediegen kotzen gehen.

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