Yo La Tengo - Fade

Matador / Beggars / Indigo
VÖ: 11.01.2013
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 9/10
9/10

Oden an die Erinnerung

Da sind sie wieder, die ganz Schlauen. Die, die es ja grundsätzlich vorher gewusst haben, besser, genauer, und mehr sowieso. Diese Leute, die immer nur genervt den Kopf schütteln, wenn man ihnen erzählt, dass Band XYZ wieder ein neues Album am Start hat. "Erzähl' mir was Neues", hört man dann und dreht sich wieder um. Sinnlos. Noch bevor auf der favorisierten Musikseite die News über den Ticker läuft, wissen sie es schon, Gott weiß woher. Und während man selbst vielleicht gerade die ersten zehn Sekunden der neuen Leadsingle der Band XYZ hört, haben sie schon eine detailierte Review auf ihrem Blog veröffentlicht. Aber genau diese Leute, die ja meinen, alles zu wissen und jeden zu kennen, werden Dir Yo La Tengo auch nicht genauer erklären können. Nicht mal die. Weil man bei dem Trio aus New Jersey gar nicht weiß, wo man anfangen soll.

Seit fast 30 Jahren besteht die Band rund um Ira Kaplan, zwölf Studioalben haben sie veröffentlicht, dazu mehrere Compilations, EPs, Soundtracks und ein mehr oder weniger berüchtigtes Cover-Album, für das ihnen der eigene Name wohl zu schade war - im Nachhinein vielleicht nicht verkehrt. Seit ihren Anfängen im Alternative-Rock-Bereich hat sich viel getan bei Yo La Tengo, und die Weiterentwicklung über den Indie-Rock bis zu einer Art psychedelischer Traummusik mit, ja, Noise-Anleihen, gebar einige große Meisterwerke, mehr noch: Zwischen der 1993er Platte "Painful" bis zu "I am not afraid of you and I will beat your ass" von 2006 haben die drei rein gar nichts falsch gemacht. Sechs geradezu perfekte Alben hintereinander, dann kam "Popular songs". Daran war im Grunde gar nichts verkehrt. Dennoch hatte sich etwas verändert.

Wer ein Album von Yo La Tengo hört, hört mehr als das, mehr als nur ein Album von Yo La Tengo. Man taucht ein in eine neue Welt, in der alles gleichzeitig etwas plüschiger und kratziger, romantischer und düsterer, euphorischer und niederschmetternder ist. Auf ihrem letzten Album, mitnichten ein schlechtes, passierte für ihre Verhältnisse erstaunlich wenig Unvorhersehbares, dafür vieles, womit man bei anderen Bands gerechnet hätte - nicht aber bei Yo La Tengo. "Fade", der mittlerweile 13. Streich, soll wieder die alte Richtung einschlagen. Vorbei mit populären Songs - statt zu verblassen, gibt es hier zehn Oden an die Erinnerung, die ewig bleiben. Vom hektisch-poppigen "Well you better" in all seiner Kürze bis zur schwelgerischen Lagerfeuerromantik von "I'll be around" sind es hier nur kleine Schritte, und plötzlich erklingen sie wieder, diese vielen großartigen Songs, die man schon viel zu lange nicht mehr gehört hat.

Auch ein Herzschlag bleibt immer eben genau das, selbst wenn es das einsame Klopfen eines Herzens in der Ferne ist wie bei "Cornelia and Jane" mit einer großartigen Georgia Hubley am Mikrofon oder die heftig schlagende Pumpe eines Verliebten im melancholischen Album-Highlight "Stupid things" - all das geht hier. Natürlich geht es. Und noch viel mehr: Da können Yo La Tengo im Opener "Ohm" ordentlich im 1960er-Jahre-Stil auf den Psychedelic-Putz hauen und einfach mal so an verschwurbelte Fantasie-Soundtracks wie "Pass the hatchet, I think I'm goodkind" oder "Let's save Tony Orlando's house" anknüpfen. Da können sie kurz vor Schluss mit "The point of it" nochmal ordentlich auf die Tränendrüse drücken, bis die ersten kleinen Tropfen auf der Akustikklampfe herunterperlen und der Hörer nicht genau weiß, ob er lieber abhauen oder nach Hause fahren will. Yo La Tengo hingegen können ohne Probleme einen sechsminütigen Brocken namens "Before we run" ans Ende setzen, der eigentlich und irgendwie aus zwei Songs zu bestehen scheint und nach "Is that enough" den schönsten Einsatz von Streichern hat. Bei Yo La Tengo geht viel - nur verblassen, das werden sie zum Glück wohl nie.

(Jennifer Depner)

Bei Amazon bestellen / Preis prüfen für CD, Vinyl und Download
Bei JPC bestellen / Preis prüfen für CD und Vinyl

Highlights & Tracklist

Highlights

  • Ohm
  • Is that enough
  • Stupid things
  • The point of it

Tracklist

  1. Ohm
  2. Is that enough
  3. Well you better
  4. Paddle forward
  5. Stupid things
  6. I'll be around
  7. Cornelia and Jane
  8. Two trains
  9. The point of it
  10. Before we run
Gesamtspielzeit: 46:15 min

Im Forum kommentieren

kingbritt

2020-05-19 22:06:48

Yup, die Runde macht echt Laune.

MopedTobias (Marvin)

2020-05-19 21:57:22

War sehr schön, das Album wieder zu hören und eure Kommentare dazu zu lesen, danke für die Session!

War Platz 60 in meiner 10er-Liste. Für mehr ist es vielleicht doch eine Spur zu gleichförmiger, zurückgelehnter Wohlklang, aber diese trostvolle Frühlings-Atmosphäre brauch ich manchmal einfach.

Bin gespannt, wann ich mich dazu aufraffen kann, mich intensiver mit der Band zu beschäftigen und nicht immer nur "Fade" zu hören...

Old Nobody

2020-05-19 21:54:18

Freu mich sehr auf die Beat your ass nächste Woche mit Pass the hatchet, Daphnia und Story of yo la tango

Da werd ich auf jeden Fall was flüssiges für kaltstellen :)

kingbritt

2020-05-19 21:53:08

. . . das bezieht sich auf den großen Ulmen-Baum auf den sie kaum auszumachen sind, oder?

dreckskerl

2020-05-19 21:53:03

Ich vermisse den krachigen/freieren/noisigeren Sound der Band bei dem Album, aber es ist einfach genau gut so.

Hinterlasse uns eine Nachricht, warum Du diesen Post melden möchtest.

Spotify

Threads im Forum