Isis - Temporal
Ipecac / SoulfoodVÖ: 09.10.2012
Die göttliche Tragödie
Der Schleier wird gelüftet. Es werden Ansichten eines Raumes gewährt, der bislang im Dunkeln blieb. Ein Hineinschauen in die Verborgenheit. Es ist, als würde ein Magier dem Publikum bei seiner letzten Vorführung den Blick hinter die Illusion gestatten und sein Blendwerk in einem Spiel der Erwartung entschlüsseln. Die Entzauberung der Welt des Scheins. Als Isis 2010 ihre Trennung bekanntgaben, war dies ein harter Schlag für viele. Die Genre-Spitze des Postmetal brach unverhofft weg. Die Band konnte nicht mehr. Die Göttin wankte und fiel. Einen würdigen, aber schmerzreichen Abschied bereitet "Temporal". Würdig, weil der Hörer die Blicke seiner Ohren scheinbar direkt in den gut gehüteten Proberaum werfen kann. Schmerzhaft, weil dieses Abschiedsgeschenk all die Großtaten einer unermesslich guten Band Revue passieren lässt, die fortan nur noch in der Restrospektion bestehen bleiben werden.
Gleich der erste Silberling versammelt die Größe von Isis in sechs bislang unveröffentlichten Perlen. Das Besondere daran ist, dass es sich durchweg um alte Demoaufnahmen oder alternative Demoversionen handelt. Das Soundgewand ist roh und hart, wie das bürstige Leinengewand eines Büßers inmitten einer unwirschen Schneelandschaft. Doch in ihrer Ungeschliffenheit und Unbearbeitetheit offenbaren die Songs ihre Schönheit, nur eben aus anderer Perspektive. Es ist, als könnte der Hörer an der Prozession der Band ins Studio teilhaben. Dabei wird größtenteils ein Querschnitt des bisherigen Schaffens geboten. Diese Seite der Schönheit wurde bislang hinter dicken Schleiern verborgen. Der Proberaum war tabu.
Dabei vollzieht sich eine Drehbewegung. Der Weg durch den Probekeller wird durch eine Tür verlassen, eine Treppe windet sich empor und CD 2 wartet daraufhin mit weniger bekannten und fertig abgemischten "Raritäten" auf. Den Weg hinauf fanden das Godflesh-Cover "Streetcleaner" von "Mosquito control" sowie das Black-Sabbath-Cover "Hand of doom" von "The red sea". Neben entbehrlichen Remixen von "Not in rivers, but in drops" und "Holy tears", die in ihrer Dekonstruktion die Erhabenheit der Originale nicht einfangen können, warten Isis gleich mit weiteren unveröffentlichten Kleinoden auf, wie dem dronigen "Temporal" und einer betörenden Akustikfassung von "20 minutes/40 years". Die Schönheit der gefallenen Göttin wird jedoch mit zwei Ablegern von der Melvins-Split-LP erneut zum Strahlen gebracht: "Way through woven branches" und "Pliable foe" zeigen allen, die dieses kleine Meisterwerk nicht hören konnten, warum Trennungsschmerz von etwas Geliebtem ein solch großer ist. Isis in kompositorischer Höchstform.
Abgerundet wird dieser Schwanengesang durch eine DVD-Beigabe, welche die Musikvideos der Band noch einmal in ihrer visuellen Wucht vereint: Schönheit im Desolaten. Isis vermochten neben Tool wie keine weitere Band, das Künstlerische des Mediums Film innovativ dem der Musik anzupassen. Auch hier wurde nicht gespart. Mit "Pliable foe" findet sich Unveröffentlichtes. Daran tat die Band gut. Es wäre schlicht schade gewesen, ein solches Glanzstück der Videokunst unbeachtet in den Archiven versauern zu lassen. "Temporal" ist, was es besagt: eingeschlossene Momentaufnahme, wie sepiagefärbte, alte Fotografien. Obwohl die Erinnerung zu verblassen vermag, wird mit diesem Abschied etwas in Erinnerung behalten, das groß war. Eine Band, die nicht mehr konnte. Eine Göttin, die ging: It's magic.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Threshold of transformation
- Carry
- Way through woven branches
- Pliable foe
Tracklist
- CD 1
- Threshold of transformation (Demo)
- Ghost key (Alternate demo version)
- Wills disolve (Alternate demo version)
- Carry (Demo)
- False light (Demo)
- Grey divide (Demo)
- CD 2
- Streetcleaner
- Hand of doom
- Not in rivers, but in drops (Melvins/Lustmord remix)
- Holy tears (Thomas Dimuzio remix)
- Temporal
- Way through woven branches
- Pliable foe
- 20 minutes/40 years
- DVD 1
- In fiction
- Holy tears
- Not in rivers, but in drops
- 20 minutes/40 years
- Pliable foe
Referenzen