Rebekka Karijord - We become ourselves

Control Freak Kitten / Sony
VÖ: 02.11.2012
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10
6/10

Contra Kontrast

Stimmt schon: Wer die Meinung vertritt, Musik spiegele vor allem heimatliche Landschaften, kulturelle Prägungen und regionale Wetterverhältnisse wider, der sollte besser nicht über Rammstein, Scooter oder Andrea Berg nachdenken. Dennoch wird es dem Kopfkino zwischen Feen, Fjorden und Finsternis ganz automatisch wohlig warm ums Gemüt, wenn es an skandinavische Frauen mit Piano und Stimmgewalt denkt. Weshalb? Weil der Gemeinsinndeutsche seit Jahr und Jahrzehnt seinen Zweiturlaub in nördlicheren Gefilden verbringt - und sich folglich hartnäckig die herbstliche Witterung schönredet. Nüchtern betrachtet ist der Great White North des hiesigen Kontinents allerdings doch eher eine monumentale Ansammlung von Schietwetter über zig Bruttoregistertonnen senkrechtem Holz. Die Musik von Rebekka Karijord? Ist seit Jahr und (knapp einem) Jahrzehnt alles andere als das.

Obwohl man sich schon mächtig ins Zeug legen muss, um die skandinavischen Geister aus seinen Gedanken zu vertreiben. Das hingegen passt schon wieder, denn Karijord macht natürlich kaum etwas anderes. Sie strengt sich an. Sie vertreibt die Geister. Sie bannt sie auf ihr mittlerweile zweites Soloalbum. Und entfesselt sie folgerichtig wieder in des Hörers Kopf. Ihr Klavier grollt und murrt mit einem Beat aus Herzschlag und Händeklatschen, ein paar Tribal-Beats ziehen auf und vorbei, Vokale fliegen wie Klagegesänge über Karijords nie zu düstere, doch keineswegs mädchenhafte Stimme. Ein entspannter Hall ist überall zugegen, er lässt diese Musik alt klingen, knorrig und doch bestimmt. Männerchöre rollen durch die Bassfrequenzen, denn dort ist Platz genug, weil Karijord einen echten Bass meist nicht wirklich braucht. Schließlich ein paar Schlagzeugfiguren fürs Finale und entweder akustische oder halbresonierende Gitarren - sowie natürlich ganze Schiffsladungen an Drama-Score-Melodien und -Melancholien.

Das wäre sie, die erste Viertelstunde von "We become ourselves" - und im Grunde auch das ganze Album. Der Titelsong schmeißt die Cellos an, während Karijord ätherischen Atmo-Folk der Marke Tara Jane O'Neil aufflimmern lässt. "You make me real" und "Ode to what was lost" spielen auf ähnlichen Stimmungswolken, tun dabei aber so, als sei bei "Das letzte Einhorn" von Anfang an aber auch wirklich alles ganz furchtbar in die Binsen gegangen. Der "Multicolored hummingbird" strahlt in der Tat ein wenig heller als all die anderen Flügelschläge, die aus den voranwabenden Herbstwolken von "We become ourselves" bestenfalls flüchtig schimmernde Verwirbelungen herauskontrastieren. Und "Use my body while it's still young" ist der kleine Saukerl des Albums, ein Psycho-Pop-Bastard, der sich geradewegs aus dem freudschen Unheimlichen ins TripHop-Vibrieren herübergebibbert hat.

Mehr Beat und Zug hat Karijord folglich nicht mehr anzubieten. Trotzdem ist "We become ourselves" weder ultradüster noch -fröhlich, weder schwierig noch populistisch. Und was bei ihr glücklicherweise ohnehin draußen bleibt, ist knutschkugeliger Pippi-Lotta-Viktualia-Frechdachs-Pop, über den sich Fantastilliarden mentalergrauter Mittdreißiger während ihres Zweiturlaubs unterhalten, wenn sie nicht gerade mal wieder ABBA absolut dufte finden. Wer ihnen begegnet - einfach die kalte Schulter zeigen. Sofern das bei "We become ourselves" überhaupt möglich ist.

(Tobias Hinrichs)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Use my body while it's still young
  • We become ourselves
  • You make me real
  • Ode to what was lost

Tracklist

  1. Prayer
  2. Use my body while it's still young
  3. We become ourselves
  4. Oh brother
  5. Your love
  6. Multicolored hummingbird
  7. Save yourself
  8. You make me real
  9. Ode to what was lost
  10. Bandages
Gesamtspielzeit: 45:56 min

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