Dark Dark Dark - Who needs who

Melodic / Indigo
VÖ: 05.10.2012
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Der größte gemeinsame Teiler

Höhere Beziehungsmathematik gehört zu den schwierigsten Disziplinen der Wissenschaft. Ist es möglich, sich auseinanderzudividieren und trotzdem noch etwas miteinander zu teilen? Multiplizieren sich dabei nicht die Differenzen? Und was bleibt überhaupt unterm Strich, wenn man noch nicht einmal darüber hinweg ist? Man betrachte hierzu dieses interessante Fallbeispiel: Bis Anfang 2011 waren Nona Marie Invie und Marshall LaCount noch ein Paar. Sie teilten nicht nur Tisch und Bett miteinander, sondern auch ihre Band Dark Dark Dark, die sie fünf Jahre zuvor in Minneapolis gegründet hatten. Zum Zeitpunkt der Trennung liegt ein mit unzähligen Live-Verpflichtungen gefülltes Jahr vor ihnen. Und die Frage, wie nun mit all dem umzugehen sei. Man könnte ja Freunde bleiben, aber würde dann auch Freude bleiben? Invie und LaCount haben den Versuch gewagt, das private Band zu zerschneiden und trotzdem eine Band zu bleiben. Sie haben sich sogar getraut, ihr drittes Album "Who needs who" in New Orleans aufzunehmen, einem wichtigen Schauplatz ihrer Beziehung. Immer wieder pilgerten sie dorthin, wohnten sogar für ein paar Monate gemeinsam in der Stadt, in die LaCount nach der Trennung alleine zog. Man kann sich das prima vorstellen, wie Invie nachts auf LaCounts Gästecouch lag und leise diese Lieder summte, die zugleich Ende und Neuanfang bedeuten.

"I am humming so low / You can't hear me now", singt sie in "Meet me in the dark", dem zentralen Lied der Platte. Zentral, weil es die mutige Entscheidung erklärt, trotz des amourösen Scheiterns der beiden Gründungsmitglieder das Quintett Dark Dark Dark weiterhin gemeinsam aufzuziehen: "I will never get tired of singing these songs." Die Musik muss genau da weitermachen, wo die Liebe aufgehört hat. Und auch wenn Invie ihre Herzkammer kurzfristig zur Dunkelkammer erklärt, werden dort immerhin matt glänzende Zukunftsbilder entwickelt. Der musikalische Unterschied zum hervorragenden Vorgänger "Wild go" ist nicht gravierend und doch unüberhörbar: Der Dialog zwischen Invie und dem Klavier steht dieses Mal deutlich im Vordergrund, alles andere sind bloß ornamentierende Fußnoten, wenn auch stets auf Augenhöhe. "Oh, I have the memory of trust", lautet resigniert die erste Zeile des eröffnenden Titeltracks "Who needs who". Während das Piano zunächst die Stille eines kalten Wintertages imitiert, geht es plötzlich in ein überraschend flottes, von Bläsern unterstütztes Zwischenspiel über, irgendwo zwischen Balkan-Folklore und Zigeuner-Flair. Invies Stimme klingt vielleicht noch ein bisschen unprätentiöser als sonst, hier und da scheint eine sachte Beschwingtheit durch, die man vor allem dann bemerkt, wenn Invie die Töne nicht auf direktem Weg ansteuert, sondern leicht angeschrägt umspielt. Manchmal hat ihr Vortrag gar etwas Gospelhaftes, und tatsächlich hat sie im letzten Stück die ganze Band als Chor um sich geschart. "The great mistake was mine", singen alle, also auch LaCount - der abschließende Instrumentalteil kann sich kaum halten vor Lachen.

In Anbetracht der Vorgeschichte dieser zehn Lieder erscheint das Wort "Singleauskopplung" beinahe ironisch, dabei ist "Tell me" genau das Gegenteil: "I want to live in a time / When you still cherished me / Oh, to go back to the place / When your hands moved over me." Das unbeirrt gemächlich vor sich hintrabende Piano verkörpert gleichzeitig einen geduldigen Zuhörer und die Monotonie der Gedanken. Eine verzerrte Gitarre bietet Hilfe an, weiß allerdings gerade selbst nicht, wo ihre starke Schulter ist. Auch das von einem perlend hingetupften Klavier begleitete "Patsy Cline" steckt noch in der ersten Trennungsphase fest, dem Nicht-Wahrhaben-Wollen - "I thought we'd meet up in a week or two / And we'd slow-dance to Patsy Cline at the bar." LaCount singt leise die zweite Stimme. Mit Akkordeon, Kontrabass und Schlagzeug an ihrer Seite ist Invie ein Lied danach schon zwei Schritte näher an der neuen Realität einer frisch Getrennten, der Fokus nun auf sie alleine gerichtet - auch wenn das Stück "Without you" heißt. Die Verflossene ist nun logischerweise ein Fluss, der alles Gute an das Meer verloren hat; die ebenso abhanden gekommene Liebe sieht sie jetzt in Glühwürmchen aufflackern und als fallende Blätter umherwehen. Das schönste Lied auf "Who needs who" ist aber das dezent angejazzte und zaghaft angeblueste "How it went down", eine aufrichtige Analyse des Beziehungsbankrotts, eine Powerpoint-Präsentation vor versammelter Mannschaft mit der knappen, bittersüßen Anmerkung "I saved you the best seat in the house." Ob es sich um einen Schleudersitz handelte, ist nicht bekannt. Aber auch so ist dieses Album in all seiner Offenheit schon bewegend genug. Und unterm Strich steht beziehungsmathematisch fest: Bruchrechnung kann durchaus erhellend sein.

(Ina Simone Mautz)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Patsy Cline
  • Without you
  • How it went down

Tracklist

  1. Who needs who
  2. Tell me
  3. The last time I saw Joe
  4. Patsy Cline
  5. Without you
  6. How it went down
  7. It's a secret
  8. Hear me
  9. Meet in the dark
  10. The great mistake
Gesamtspielzeit: 45:31 min

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