James Chance And Les Contortions - Incorrigible!

LADTK / Broken Silence
VÖ: 26.10.2012
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Hier und Jazz

Nicht die Welle machen - in den ausgehenden siebziger und eingehenden achtziger Jahren das Motto des New Yorker Undergrounds, der sich sich unter dem Begriff No Wave störrisch der zu dieser Zeit angesagten New Wave verweigerte. Mars etwa machten kurzen, aber heftigen Krach, Suicide nahmen's elektronisch, Lydia Lunch schrie bei Teenage Jesus & The Jerks herum, und Swans müssen sich 30 Jahre später gar mit Hipster-Vorwürfen herumschlagen. Nicht so James Chance And The Contortions, die Band des Saxophonisten und anfänglichen Lydia-Lunch-Weggefährten James Sigfried. Die veröffentlichte mit "Buy The Contortions" damals nämlich nur ein einziges Album, hinterließ dank der Kombination von sprödem Post-Punk, Free Jazz und kalkweißem Funk jedoch reihenweise offene Münder. Legendärer Typ, keine Frage. Auch noch drei Jahrzehnte später.

Denn so viel getan hat sich im Grunde gar nicht: Sigfried operiert weiterhin ohne große Kompromisse zwischen wuchtigem Groove, ansatzweiser Atonalität und gewolltem Zerrbild des Muckertums und sieht nebenbei bemerkt immer noch aus wie Henry, die leidgeprüfte Hauptfigur aus David Lynchs "Eraserhead" mit Tröte um den Hals. An ausgesuchten Stellen dieses mit französischer Begleitband eingespielten Albums würde es dann auch nicht wundern, wenn im nächsten Moment eine bizarre Blondine aus der Heizung steigt. Auch wenn sie wohl kaum "In Heaven everything is fine" singen würde - dazu zeigt "Incorrigible!" Sigfried zu sehr als unverbesserlichen Sarkasten, der die Songs mutwillig mit Stichflammen aus dem Saxophon und Genörgel irgendwo zwischen Jim Foetus und Mark E. Smith zerteilt. Gekommen, um zu nerven.

Schon im Opener "Dislocation" kicken blecherne Drums los und schäumen Dampforgeln über, spitze Gitarren fahren giftig dazwischen, eine Bläsersektion piekst auf den Punkt, und aus den Keyboards quillt weißes Rauschen. Dazu nölt Sigfried "When you get right down to the nitty-gritty / There's nothing left for stealing in this funky city." Ein ähnlich desolater Blick auf den Big Apple, wie ihn Gil Scott-Heron auf "New York is killing me" freigab - und der hätte sicher auch das eine oder andere zum Thema zu sagen gehabt. Das weiß auch Sigfried und widmet dem verstorbenen Spoken-Word-Poeten eine Coverversion seines bitteren Junkie-Hörbildes "Home is where the hatred is" - neben dem halbakustischen Lounger "Yesterday" einer der wenigen behutsamen Momente dieses Albums, in denen Jazz, Punk und Rockmusik nicht krachend übers Knie gelegt werden.

Umso unberechenbarer geht es weiter: "Do the splurge" täuscht Backbeat-Entspannung an, führt aber bald ätzende Licks, gewagte Breaks und überschnappende Vocal-Einwürfe ein, als würde James Brown lautstark die morgendliche Toilettensitzung kommentieren. Dazu fährt der Gitarrist auf dem Griffbrett Schlitten, bis der Song sich nach achteinhalb Minuten durch die Hintertür verdrückt. Der Hörer bleibt trotz bereits arg gebeutelter Lauscher da - er will schließlich nicht den zackigen Punk-Funk von "Pull the plug", das hämisch Korruption verhandelnde "It all depends on the amount" oder den entstellten Twang-Blues "Terminal city" verpassen. Und wenn Sigfried ihn mit dem Titelstück unsanft aus diesem Album herausbefördert, weiß man endgültig: Dem Mann ist nicht zu helfen. Heute so wenig wie 1980. Macht nichts: selten so schön so viele blaue Flecken geholt.

(Thomas Pilgrim)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Dislocation
  • Do the splurge
  • Pull the plug

Tracklist

  1. Dislocation
  2. Home is where the hatred is
  3. Do the splurge
  4. It all depends on the amount
  5. Pull the plug
  6. Yesterdays
  7. OZ
  8. Terminal city
  9. Incorrigible
Gesamtspielzeit: 49:36 min