Anna von Hausswolff - Ceremony

Kning Disk / Broken Silence
VÖ: 31.08.2012
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Die Haut vom Fleisch

"Funeral for my future children"

Bis wir bei dieser brutalen Zeile angekommen sind, standen wir schon einige Male am Sterbebett, haben Abschied genommen, uns in den Armen gelegen und vor den Gräbern gekniet. Fraglos, "Ceremony" wiegt schwer, bedeutungsschwanger und morbide. Es ist das zweite Album von Anna von Hausswolff, einer von den Kritikern in ihrer Heimat Schweden schon mit einiger Begeisterung aufgenommenen Künstlerin und Songwriterin. Erste Kontakte mit der großen, düsteren Popwelt sammelte sie auf Tour mit Lykke Li und just zu Halloween war sie vor kurzem das erste Mal in Deutschland zu Gast. So viel zu den Basics. Und die Musik? Nun, man könnte festhalten, dass Anna von Hausswolff Orgelakkorde über Bassdrones schichtet; oder dass ihre Musik mehr nach Kathedrale denn nach Konzertsaal klingt. Würden Organisten The Cures "Disintegration" einspielen, dieser Sound käme in etwa dabei heraus. Und würde Lars Von Trier wieder Interviews geben, er empföhle womöglich "Ceremony".

"Erbaulich" könnten auch die Pfarrer, Internatsleiter und Pfadfinder dazu sagen, gleichwohl "Ceremony" mehr hat von der Abgründigkeit einer Soap & Skin. In gewisser Weise ist es also eine Platte für die Massen geworden. "Ceremony" denkt in großen Zusammenhängen, unter den denkbar größten Fragen, unter Gott und Teufel, Geburt und Tod, gut und böse läuft hier nichts mehr. Das ist dann, als würde Tori Amos anno 1992 im Petersdom aufspielen. Grandios ist "Ceremony" dabei nicht nur deswegen, weil es Indie und Orgel zusammenschmeißt und seinen Pop-meets-Klassik-Spagat wacker über dem David-Garrett-Abgrund macht. Mit profanen Gänsehautmomenten hat der überwältigende Sound auch längst nichts mehr am Hut - wenn "Deathbed" Anna von Hausswolff wüten lässt wie Tori Amos seit "Caught a lite sneeze" nicht mehr, um schließlich den Drone von Sunn O))) in schwere Orgelakkorde zu hüllen, dann schält die Intensität dieser Platte die Haut vom Fleisch.

Und doch bleibt "Ceremony" in letzter Konsequenz "U-Musik", weil es in den avantgardistischen Klangexperimenten (zum Beispiel "No body"), die als Trojanisches Pferd fürs Feuilleton bestens funktionieren, Hits versteckt. Perfekt austariert macht das "Mountains carve", die erste Single, vor: Von Hausswolff drapiert eine simple Melodie über den Beat, singt offen, mit dem Gesicht gen Himmel gewandt. Bass und Gitarre setzen ein und zerstäuben alle Zweifel: "How do we know?". Alles wird gut werden. Immer wieder zersägt von Hausswolff ihre bedrohlichen Bassdrones mit erhabenem, hoffnungsfrohem Wohlklang wie in "Harmonica", das sich in eine fast kindliche Melodie verliebt. Und selbst der zitierte Absacker "Funeral for my future children" ist mehr Gospel als Todesfuge. Auf "Ceremony" verschluckt sich der Pop an seiner Ironie, der Indierock stolpert über seine albernen Posen. Wann und wo klang Pop je ernster, sakraler, epischer?

"Ceremony" macht die Säkularisierung rückgängig, näher an die Kanzel als Anna von Hausswolff hat sich kein Musiker der letzten Jahre mehr gewagt. Was faselte der Verfasser dieser Zeilen noch vorletzte Woche, benebelt und berauscht vom gotteslästerlichen Poprap von Kreayshawn vom womöglich besten Song diesen Jahres? All das ist hinfällig, natürlich ist "Mountains crave" der Song des Jahres. Und des nächsten? Warum überhaupt dachte der Schreiber überhaupt in solch diesseitigen Kategorien, in solch lächerlichen Zeiträumen? Alles, für immer. Die Zeiten der kleingeistigen Schrankenwärter sind vorüber, gesungen wird in den Kathedralen, gebetet vor den Bühnen. Zur Musik von Anna von Hausswolff heiratet Varg Vikernes kirchlich. Wir alle, endlich bekehrt.

(Nicklas Baschek)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Deathbed
  • Mountains crave
  • Goodbye
  • Sova

Tracklist

  1. Epitaph of Theodor
  2. Deathbed
  3. Mountains crave
  4. Goodbye
  5. Red sun
  6. Epitaph of Daniel
  7. No body
  8. Liturgy of light
  9. Harmonica
  10. Ocean
  11. Sova
  12. Funeral for my future children
  13. Sunrise
Gesamtspielzeit: 61:00 min

Im Forum kommentieren

Pivo

2018-12-27 09:36:59

Über die "Dead Magic" bin ich auch auf die "Ceremony" aufmerksam geworden. Ich würde die Bewertung für meinen Geschmack tauschen und der "Ceremony" die 9/10 geben. Es ist nicht so "verkopft" und zündet bei einigen Songs schon beim ersten hören (Mountain crave, Sova, Funeral....).
Ebenso die beiden "Epithaphen" sind zu erwähnen. Über allem thront allerdings für mich "Goodbye". Vielleicht liegt es an der Jahreszeit, aber schöner kann man einen Abschied nicht vertonen.
Alles in allem gefällt mir "Ceremony" aufgrund der Zugänglichkeit besser als die Dead Magic.
Dennoch freue ich mich für die Künstlerin wenn ihr aktueller Output im Jahrespoll ganz weit vorne liegen wird. Verdient hat sie es allemal, denn was sie in ihrem noch recht jungen Alter mit der doch recht ungewöhnlichen Instrumentierung heraushaut ist ein wirklich beeindruckendes Gesamtwerk.

Meinung

2014-09-01 16:58:23

... die es irgendwie aber auch trifft.

hehe

2013-06-13 14:17:54

schöne, lustige rezi vom wigger.

ST

2013-05-19 02:58:13

So schnell kanns gehen: Sie wird noch dieses Jahr auf dem Reeperbahn Festival spielen.

http://www.reeperbahnfestival.com/music/programm/detail/program/anna-von-hausswolff/

ST

2013-04-19 21:03:22

War voll gewesen, die Sitzplätze waren alle belegt. Ich kann aber generell nur schwer abschätzen wie groß das Publikum ist. Maximal waren das 500 Besucher. Sie war damit aber sehr zufrieden, auch mit den Konzerten davor. Die beiden Songs hatte sie nicht gespielt, war aber trotzdem großartig. :-)
Sie hat den Eindruck gemacht das Touren sehr zu genießen, vielleicht hängt sie demnächst noch ein paar Konzerte an. Sie war auch sehr von der Idee angetan, ein Konzert auf einer richtigen Kirchen-Orgel spielen zu können. Sollte wohl nicht unmöglich sein. Anna Ternheim hatte in Berlin auch mal in einer Kirche gespielt, vor ein paar Jahren allerdings. Erst mal geht die Tour in die USA...

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