Sophie Hunger - The danger of light

Two Gentleman / Rough Trade
VÖ: 05.10.2012
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 9/10
9/10

Erste-Welt-Probleme

Im Sport ist plötzlicher Erfolg verdächtig, in der Medienwelt dagegen ziemlich üblich und zwar nicht immer, aber manchmal auch verdient. Bei der Begeisterung, die Sophie Hunger bei den Kulturberichtenden ausgelöst hat, könnte man erwarten, dass ein solcher Hype auch beim breiten Massenpublikum und im Radio schon längst von alleine gelandet wäre. Aber soweit ist es noch nicht gekommen: Vielleicht ist das Changieren zwischen dramatischen Gesten und intimen Momenten, das die Musik der Schweizerin und ihrer Band prägt, nicht jedermanns Sache. Und dann ist da noch der ständig zu spürende Drang nach Freiheit, die eigene Entwicklung zu gestalten. Aber gerade diese Eigenschaften scheinen die Kritiker und auch die Organisatoren diverser renommierter Festivals ja gerade zu lieben.

Die Tatsache, dass diesmal - drittes Album, Sie wissen schon - mit Adam Samuels (Warpaint, Daniel Lanois, John Frusciante) unbedingt ein renommierter Produzent die Regler schieben musste, lässt zuerst vermuten, dass es jetzt endgültig in den Charthimmel gehen soll. Von seinem Wirken fällt jedoch hauptsächlich auf, dass neben der gewohnten Begleitband bei einer kurzen Stippvisite in Montreal auch noch ein paar Größen wie Josh Klinghoffer auf einigen Songs mitwirkten. Dieser steuert auf "Heharun" ein launig gequetschtes Gitarrensolo bei, das schön den dramatischen Höhepunkt des Songs markiert. Nötig wäre es wohl nicht gewesen, denn Hungers Bandkollegen haben auch alleine keine Schwierigkeiten, sich gekonnt zwischen alle Stühle aus Jazz, Rock und Folk zu setzen, wobei die Posaune von Michael Flury manchen Stücken wie "LikeLikeLike" eine besondere Note aufdrückt.

Offensichtlich waren solche Veränderungen unbedingt nötig, wenn Sophie Hunger auch gleich im ersten Song "Rererevolution" nach Zeichen für ihre Revolution sucht. Die bleibt aber im wesentlichen aus, was kein Fehler ist. Aber die Unsicherheit, in welche Richtung es weitergehen könnte, weitergehen sollte, ist auf manchen Stücken hörbar und (be-)greifbar. Die Welt zwischen Montreal und Zürich steht offen, aber es gibt zu wenige Hinweisschilder, wen oder was man hinter sich lassen sollte. Sophie Hunger lässt aber wenig Zweifel am Bewusstsein, wie priveligiert diese Erste-Welt-Probleme sind: "The fallen" sind die Menschen, die bei ihren verzweifelten Versuchen, die Honigtöpfe der hier Geborenen zu erreichen, in den Wellen untergehen. Auch der Attentäter in "Perpetrator" hat ganz ruhig - jazziges Piano, gedämpfte Trompete und eine leicht verzerrte Gitarre - alle weiteren Optionen verworfen und nur noch tödliche Ziele. Sicher ist nur, dass nichts sicher ist und sich alles im konstanten Wandel befindet: "Freiheit ist das neue Gefängnis. / Und Reich ist das neue Schlau. [...] Und jetzt ist das Neue vorbei. Drum wenn Du bald nach Hause kommst, bin ich nicht mehr hier." Ohne Umschweife von den großen Umwälzungen der Welt zu den persönlichen Brüchen und Abschieden: "Das Neue" ist hier nah an Element of Crime, und auch die gekonnt pointierte Betonung klingt fast wie bei Sven Regener geklaut, pardon, zitiert. "Intellektuell ist neu völlig unbrauchbar. / Frei zum bestehlen ist neu Sophie Hunger", wie treffend.

"The danger of light" ist kein radikaler Bruch, sondern behutsame Entwicklung - hier ein bisschen die Dramatik rausgenommen, die Komposition ruhiger und der Gesang eine Spur sanfter. Die Falle der Beliebigkeit, manche Songs etwas naiv unschuldiger zu interpretieren und zu arrangieren, wie man das beim jazz-angehauchten Pop von diversen Sängerinnen zur Genüge zu Gehör bekommt, hat Sophie Hunger locker umschifft. Die Intensität der Songs ist nicht geringer, nur anders, durchgängiger: Wo noch auf dem letzten Album "1983" manche sanft beginnenden Stücke Tempo- und gelegentlich Instrumentenwechsel boten, ist ein Stück wie "Holy hells" von vorneherein und durchgehend rastlos (und mit einem unglaublich plastischen Sound produziert). Umgekehrt sind die ruhigeren Stücke, wie etwa das gefühlvolle Soldatentrauma "Souldier", in sich geschlossener. Vielleicht ist diese bewusste Konzentration, die Abkehr vom Versuch, immer alle Möglichkeiten in einen einzigen Song zu packen, die wesentliche Erkenntnis dieses Albums. Wohin geht es von hier, Sophie Hunger? Ein gemütliches Einrichten im intellektuellen Musikzimmer ist genauso vorstellbar wie eine Öffnung zum breiten Publikum. Nichts muss, alles kann, das können nur wenige Künstler von sich behaupten.

(Holger Schauer)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Das Neue
  • Holy hells
  • The fallen

Tracklist

  1. Rererevolution
  2. Souldier
  3. LikeLikeLike
  4. Das Neue
  5. Can you see me?
  6. Heharun
  7. Z'Lied vor Freiheitsstatue
  8. Holy hells
  9. The fallen
  10. Perpetrator
  11. Take a turn
Gesamtspielzeit: 39:04 min

Im Forum kommentieren

8hor0

2013-11-11 06:59:27

06.12.:
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gigs

2013-11-10 23:12:48

wahnsinn live wieder! sie wird immer besser!!

Dan

2013-09-15 23:27:01


Schönes Album, sehr abwechslungsreich!

wtf?

2013-09-15 18:51:44

Sophie Hunger und Fred Durst?

krasser Punk von der dreckigen Straße ehh Uni

2013-09-14 21:49:44

ich finde es sehr gut, wenn man beim musik hören was lernt, lernt musik zu verstehen. diese schwankungen die bei ihr immer wieder kommen diese aufforderung in dur und die melancholie in moll find ich fazinierend. immer zwischen fazination und abgrund. ich finde die herangehensweise wie der prof die musik analysiert sehr interessant, dass macht sie noch mal interessanter und lebendiger, das ist sehr gut und ich dem sehr nachsinnen, auch das mit dem gitarrengurt. sophie hunger ist eine richtig echte musikerin mit leib und blut und emotionen und jeder menge hirn.

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