Boy Omega - Night vision
Tapete / IndigoVÖ: 07.09.2012
Schöner sterben
Also, machen wir es kurz und schmerzlos. Schwedische Menschen sind grundsätzlich blond und wunderschön, im ganzen Land scheint nie die Sonne, weshalb es immer dunkel und kalt ist. Macht aber auch nichts, denn die Schweden sind sowieso entweder im IKEA und feiern dort Mittsommer oder sie hocken daheim und kraulen dem Hauselch den Kopf, während die Kinder ihr Köttbullar zum Nachtisch essen. Autoradios in ihren alten Saabs und Volvos brauchen sie eigentlich nicht, denn die Leute hören den ganzen Tag entweder ABBA oder Mando Diao - je nach Alter. Noch etwas? Das dürften vorerst alle Vorurteile sein. Dass Schwedenpopper immer noch eine Spur verzweifelter sind, stimmt allerdings schon irgendwie. Und weil Martin Henrik Hasselgren, der Kopf hinter Boy Omega, diesen Vorwurf langsam leid wurde, entwickelte er sich von Album zu Album weiter weg vom handgemachten Indie-Folk zu einer Mischung aus Pop, elektronischen Spielereien und einer Menge Kitsch.
Vor allem Kitsch! Zumindest auf dem sechsten Album "Night vision". Da gehören die Streicher und die Extraportion Schmalz zur Standardausstattung, und weil es einigen auf dem Vorgänger "The ghost that broke in half" eine Ecke zu verspielt wurde, gibt es hier immerhin keine Drums vom Computer, sondern wieder einen waschechten Schlagzeuger. Was alles so hart klingt, ist eigentlich verdammt gut: Erstmals seit den allerersten Veröffentlichung von Boy Omega hat man das Gefühl, wieder etwas Handfestes vorgesetzt zu bekommen. Und man mag angesichts der nach unten gehenden Temperaturen eigentlich auch nichts anderes tun, als sich bei einem Stück wie dem melancholischen "Giving up the ghost" unter der Decke zu verkriechen und ein Weilchen mitzuleiden. Der stetige Rhythmuswechsel wirkt da ähnlich gemütererregend wie der Gesang, den Hasselgren seinen Hörern nur Silbe für Silbe zu gönnen vermag.
Ein Hauch The Cure umweht hingegen "Halos" - stellenweise glaubt man tatsächlich, dass Robert Smith persönlich am Mikrofon stand, während der nahende Herzschmerztod auf "Cannonballs" nicht mehr fern sein kann - spätestens dann, wenn Hasselgren das Wort "butterflies" nur stotternd über die Lippen geht, ist klar, dass "Night vision" vor allem eines ist: pures Drama. Extralangsam geben sich die Melodien ihrem Kummer und Schmerz hin. Selbst bei einem der wenigen etwas ausufernden Stücke, dem kunterbunten "Trigger", kommt man nicht umhin zu fragen, ob der besungene Abzug nicht womöglich ein unschönes Ende einleiten könnte. Auf diesem Album jedenfalls nicht: Das endet mit "Once" zwar genauso düster, wie es anfing und wie die vorherrschende Grundstimmung gehalten wurde, lässt aber alle Darsteller des Dramas auf der großen Bühne am Leben. Zumindest ein bisschen.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Giving up the ghosts
- Halos
- Our treasure
- Once
Tracklist
- Marching ants
- Giving up the ghost
- Closure
- Halos
- Our treasure
- Trigger
- Stilts
- Cannonballs
- New Year's
- Once
Referenzen
Spotify
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