David Byrne & St. Vincent - Love this giant

4AD / Beggars / Indigo
VÖ: 07.09.2012
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Nicht Jedermann

Wenn verdienstvolle, grauhaarige Männer auf junge und hübsche Frauen treffen, muss sich daraus nicht immer eine Amour fou entwickeln, auch wenn Literatur-Gottvater Philip Roth dies gerne genau so schildert. Also mal den Klassiker "Jedermann" beseite gelegt und hingehört: Der große Talking-Heads-Maestro David Byrne hat mit der zauberhaften Annie Clark, sonst bekannt und aktiv unter ihrem Pseudonym St. Vincent, eine in mancher Hinsicht vollkommene Platte gemacht. Gemeinsam spielen die beiden Koryphäen hochglänzenden Avantgarde-Pop, der euphorisch ausufernde Bläser mit afrikanischen Rhythmen kreuzt und schlussendlich nicht nur durch seine Einzigartigkeit überzeugt.

In "Love this giant" steckt jedenfalls mehr Byrne als St. Vincent, die Gitarren-Fanatikerin Clark wird hier vor allem auf ihre hübsche Stimme zurückgeworfen, die immer dann aus dem Dunkel auftaucht, wenn es versöhnlicher und weniger wild klingen soll. So beispielsweise im hervorragenden Opener "Who", der mit leicht angejazzten Bläsern beginnt, nacheinander schalten sich Gitarre, Schagzeug und Byrne dazu, doch erst wenn St. Vincent mit ihrer zarten Idee von R'n'B loslegt, findet der Song seine majestätische Vollendung. "Who" erzählt mit betörender Atemlosigkeit die ewige Geschichte vom Suchen und Finden: "Who'll be my valentine? / Who'll lift this heavy load? / Who'll share this taxi cab? / Who wants to climb aboard?" Diese Thematik verliert ohnehin nie an Brisanz oder Aktualität.

Später, im verheißungsvollen "Dinner for two", lädt Altmeister Byrne Fräulein Clarke zu einem Gespräch auf sein Zimmer, rein künstlerisch natürlich, doch irgendwann muss er sie fragen: "How about you and me? / Dinner for two." Ein solches Angebot würde ein kluges Köpfchen wie St. Vincent freilich nicht ablehnen. Im vollkommen psychotisch-schwurbelnden "I should watch TV" geht Byrne gesellschaftlichen Fehlentwicklungen auf den Grund und wundert sich dabei über dieses und jenes: "I used to think that I should watch TV / I used to think that it was good for me / Wanted to know what the folks were thinking / To understand the land I live in." Das ist thematisch dann nah dran an Polly Jeans England-Abrechnung "Let England shake" aus dem Vorjahr, wenn auch auf ganz andere Weise großartig.

Doch es geht auch mal versöhnlicher zu, dafür sorgt lustigerweise immer wieder St. Vincent, die ja sonst keine Gelegenheit auslässt, ihre eigenen Stücke zu zerschießen. "Optimist" ist zum Beispiel feinster Pop-Kitsch, von dem man kaum genug bekommen kann. Per se ein Charakteristikum dieser Ménage à deux: Immer wieder wird man als Hörer zurück an Bord geholt, freigeistige Instrumentierung trifft stets auf zartschmelzende Melodien. Kurz vor dem Ende feiern die beiden Künstler mit "The one who broke your heart" eine wilde Cocktailparty mit ungewissem Ausgang. Der Schlusspunkt indes gehört Byrne fast alleine, im semi-schwermütigen "Outside of space & time" sinniert er über die Liebe: "It's true, that's what a lover hears / It's what a fool believes / It's not too late to try." Schöner könnte es Philip Roth kaum ausdrücken.

(Kevin Holtmann)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Who
  • Lazarus
  • Optimist
  • Outside of space & time

Tracklist

  1. Who
  2. Weekend in the dust
  3. Dinner for two
  4. Ice age
  5. I am an ape
  6. The forest awakes
  7. I should watch TV
  8. Lazarus
  9. Optimist
  10. Lightning
  11. The one who broke your heart
  12. Outside of space & time
Gesamtspielzeit: 41:18 min

Im Forum kommentieren

saihttam

2015-05-28 00:35:11

Schon ewig nicht mehr gehört. Hab das Album damals in seiner einzigartigen Verschrobenheit sehr gemocht, auch wenn mir St. Vincent solo schon noch besser gefällt.

bazilicious

2015-05-27 23:41:49

Gerade erst zum ersten Mal gehört. Ganz geiles Album.

The MACHINA of God

2015-05-03 16:58:03

Ich verstehe das Cover nicht.

kingsuede@web.de

2012-10-19 21:55:31

Eigentlich musste bei den beiden ein gutes Album rauskommen, ist es dann auch geworden. Kevin hätte sogar noch einen Punkt mehr vergeben können. Überraschend ist hier fast, dass es gar nicht zu verkopft geworden ist.

afromme

2012-09-30 04:24:04

...ganz astrein sieht ja auch Byrnes Gesicht nicht aus. In den Credits ist beim Artwork auch von prosthetics die Rede, deshalb tippe ich, dass es den beiden gut geht und man sich keine Sorgen machen muss.

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