Kilians - Lines you should not cross
Grand Hotel Van Cleef / IndigoVÖ: 24.08.2012
Trotz und Trost
Simon Den Hartog scheint ruhiger geworden zu sein. In "Start again" wandert der Sänger der Kilians mit klarer Haltung am Argumentationstisch umher, er rechnet ab, souverän auftretend, energisch und willens, den Neuanfang zu wagen. Dass der Track das aktuelle Album "Lines you should not cross" einleitet, dürfte auch einen gewissen, zumindest bandinternen, Symbolcharakter haben. Drei Jahre nach "They are calling your name" kehren die Dinslakener aus dem schwarzen Loch, das sie verschluckt zu haben schien, zurück. Auf die Bühne und zu ihrem alten Label Grand Hotel Van Cleef. Mit mehr Freiheiten, Trotz und, geht es nach ersten vorab veröffentlichten Miniclips, mit spürbarer Anspannung in den Knochen, ob der ungewissen Aufnahme ihres mit kleineren Wagnissen gespickten Drittlings.
Die meisten Sorgen sind unbegründet: Mit "Dirty love" steckt an zweiter Stelle ein Indie-Rocker Marke Kilians, ein kratziger Den Hartog, tiefergelegte Gitarren, ein Refrain, mit dem man sich freudetaumelnd nachts um eine Straßenlaterne windet, ein Riff als Bridge oder umgekehrt und Pumuckl, der auf den Pianotasten spukt. "Do it again" setzt kurz bei U2 an, wirft sich aber dann selbst Riffe ins Kreuz, ehe "Not today" auch vor Triola-ähnlichen Klängen nicht zurücksteckt und sofort die Business-Class in der Ohrmuschel bucht.
Vier Tracks lang ist "Lines you should not cross" vielleicht eine erwartbare, aber starke Rückkehr der Dinslakener. Dann startet nach und nach die rudimentäre Entschleunigung im Albumkonstrukt, und die Kilians spielen sich weiter an unprätentiösen und selten kontemporären Pop heran. Der war zwar schon immer Bestandteil des Bandoutputs, hat nun aber eine größere Spielwiese. "In it for the show" schickt einen Basslauf in den Vordergrund, vorbei an den auf Stelzen hüpfenden Drums und der leichten Funk-Gymnastik der Gitarren. "Felony" absolviert kleinere Sprints zwischen den Akustikgitarrenstrecken, verzichtet aber auf die große Geste. "Never go to work again" hängt dann allerdings mit seinen "Gooo-ooo-ooo-oo-ooo-ooh"-Rufen verkatert in der Luft, und "Places" will Hoffnung verbreiten, tarnt Plattitüden aber als Ratschläge und wirkt dadurch eher blutleer denn emotional: "You don't need nobody else and that's for sure." Die neue Tapete im Zimmer des verranzten Indie-Rock will eben noch nicht allen Ecken vernünftig haften.
Prächtig funktioniert Den Hartogs Ausflug in die hohen Stimmgefilde des leicht verschleppten und melancholischen "You see the devil" oder auch "Walk behind". Und der Beatles-Piano-Moment in "For you" muss sich wahrlich nicht als Hidden-Track verkriechen. Der hätte gleich mit der Band in aller Öffentlichkeit die Höhle verlassen sollen. Es gibt eben auch Grenzen, die gerne übertreten werden dürfen. Wir sind ja nicht beim Weitsprung und die Kilians nicht Heike Drechsler. Aber schön zu hören, dass sie Sand zwischen den Zehen haben und weniger Treibsand unter den Füßen.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Dirty love
- Not today
- You see the devil
- For you (Hidden Track)
Tracklist
- Start again
- Dirty love
- Do it again
- Not today
- In it for the show
- Felony
- Never go to work again
- Coconut
- Places
- You see the devil
- Walk behind
- Just like you
- For you (Hidden Track)
Referenzen
Spotify
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