Neil Young - Are you passionate?

Reprise / Warner
VÖ: 02.04.2002
Unsere Bewertung: 5/10
5/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Laues Lüftchen

Ein Handy klingelt. Dunkles Grollen liegt in der Luft, und das Schicksal ruft. Was so bedrohlich klingt, ist Neil Youngs Versuch, das Drama des 11. Septembers 2001 Musik werden zu lassen. Ein schleppend düsteres Riff begleitet "Let's roll", den wohl umstrittensten Song in der an umstrittenen Songs nicht gerade armen Werkliste des Kanadiers. Inspiriert von der Geschichte der Handvoll Passagiere von Flug 93, die dafür sorgten, daß die Maschine nicht als vierte der fliegenden Bomben an diesem Morgen ein symbolträchtiges Ziel traf, sondern irgendwo in Pennsylvania niederging, faßte Young als Erster das Grauen in Worte.

Hätte er es doch bleiben lassen. "We're going after Satan / On the wings of a dove", knödelt er da subtil wie ein Vorschlaghammer. "You got to turn on evil / When it's coming after you." Songzeilen wie von George Bush Juniors Ghostwriter. Doch der Meister will den pathetischen Sermon natürlich gar nicht so gemeint haben. Eine klitzekleine Übertreibung. Was haben wir gelacht! Irgendwie passend, daß dann auch noch die entsprechende Musik so spannend klingt wie eine Lesung des Telefonbuchs von Wanne-Eickel. Müde bluesrockt und hammondorgelt es an Youngs Beschwörungen von Heldentum und Mut vorbei.

Glücklicherweise ist längst nicht alles an "Are you passionate?" so mißraten. Dank des lockeren Grooves der Altmeister Booker T & The MG's regt sich der Mitwippreflex hier oftmals nicht nur im großen Zeh des rechten Fußes. "Differently" schwingt genauso akkurat, wie es die ehemalige Hausband des legendären Stax-Labels schon immer auszeichnete. "Mr. Disappointment" knabbert dann zwar genüßlich am Schmalz, aber wenn Zeilen wie "Looks like you win again / But this time it may be the last" gesäuselt werden, stellt man fest, daß Young doch noch die Kraft der zwei Zeilen besitzt. Der knurrig-resignierte Rest erinnert nicht nur stimmlich ein wenig an einen beseelten Bob Dylan. Die Weisheit des Alters? Kann sein.

Songs wie "When I hold you in my arms" sind genau das Passende für einen faulen Sonntagnachmittag. Kuscheln und Dösen. Man wacht allerdings erst dann richtig auf, als sich das verrückte Pferd für ein einsames Hallo zurückmeldet. "Goin' home" läßt endlich die Röhre sprechen. Auch wenn der einzige Gastauftritt von Crazy Horse ein eher verhaltener Vortrag ist, hat man hier wieder den Kerl mit den wehenden Haaren im Sinn statt eines greisen Nichtmehrganzsoheftig-Rockers. Und wenn Youngs Gitarre dabei im Vorbeiwehen "Like a hurricane" zitiert, stört man sich auch kaum noch an der üblichen Überlänge, die der Meister braucht, um uns mal wieder nette Düsterkeiten von General Custer und seinen Rothäuten zu verklickern.

Bei "You're my girl" will man dann wieder herzhaft in Sixties-Laune mitschwelgen, bis ein dünnes Stimmchen die Hoffnung auf feinen Soul zunichte macht. Young singt hier so lebendig wie die verwesten Reste von Sitting Bull. Und schon sind wir an der unvermuteten Sollbruchstelle von Youngs Jüngster angekommen: Der Stamm spielt munter, aber einschläfernd. Neben ihm statt mit ihm. Dabei machen Youngs Sidekicks um Booker T. Jones vieles richtig. Der Beat sitzt auf dem Punkt, und die Hammond wabert weich wie die Butter auf der Fensterbank. Doch wenn wie in den 6:02 Minuten von "Quit (Don't say you love me)" ständig die Sonne scheint, bleibt außer einer triefenden Pfütze nicht mehr viel Substanz übrig. Sehen wir es mal positiv: "Are you passionate?" ist ein Meisterwerk der Plätscherkunst. Das ist ja auch schon mal was.

(Oliver Ding)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Mr. Disappointment
  • Goin' home

Tracklist

  1. You're my girl
  2. Mr. Disappointment
  3. Differently
  4. Quit (Don't say you love me)
  5. Let's roll
  6. Are you passionate?
  7. Goin' home
  8. When I hold you in my arms
  9. Be with you
  10. Two old friends
Gesamtspielzeit: 65:49 min

Im Forum kommentieren

Oliver Ding

2002-04-21 23:02:10

Tja, bei pathetischem Schmonzes wie "Let's roll" liegt leider die Hand nicht auf dem Herzen, sondern steckt im Hals. :-(

Monkey

2002-04-21 10:52:28

So hart wuerde ich allerdings nicht mit ihm ins Gericht gehen. "Are you passionate?" ist mittelmaessig (was fuer Neil schon schlecht genug ist), aber immer noch besser als die Sachen die er in den 80ern bei Geffen verbrochen hat.
Und "Year of the horse" finde ich gar nicht so schlecht - sowohl als Album wie als Film. Erinnert mich dran, dass ich das Video mal wieder einlegen koennte.

Fred Stürzer

2002-04-20 00:59:26

Als alter N.Y. Freak bin ich komplett sauer!Dieses Album ist ein "amerikanisches" Album.Lustlos hingerferkelt und kein bisschen von guter Musik auch nur irgendwo zu hören.Dieses
unsägliche Album(davon hat er ja nun mehrere gebastelt.Man denke an Trans,Year Of The Horse,Life und dieses Album wo er die 50ziger nachmacht)ist das erste Album was ich mir nicht kaufen werde,habe alle CD's von ihm und viele vinyls.Ein Wort noch zu Let's Roll:Handygebimmel
und Heldenverehrung machen noch keine gute Musik aus!!!Muss es den sein das ein "quasi" Weltmusiker so einen Mist von sich gibt????

Monkey

2002-04-18 10:39:14

Gute Kritik, Oliver. Trifft zumindest meine Empfindungen ziemlich genau. Ich kann das Album gut nebenher hoeren, aber vom Hocker reisst es einen wirklich nicht. Aber die Archvies kommen ja dann auch bald ... ;-)

Oliver Ding

2002-04-17 20:26:37

Ich höre mir jedenfalls lieber die "Harvest" oder die "After the goldrush" an.

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