Scott Kelly And The Road Home - The forgiven ghost in me
My Proud Mountain / CargoVÖ: 17.08.2012
Schwärze zwischen Tönen
Scott Kelly kann getrost als Legende bezeichnet werden. Knüppelte er sich doch bereits mit renommierten Bands wie Neurosis oder Shrinebuilder jahrzehntelang durch das Dickicht der Musikgeschichte und beehrte Größen wie Mastodon seit ihrem Großmonster "Leviathan" mit harten Vokaleinlagen. Kelly ist aber zugleich ein Dunkelmann par excellence. Seine musikalische Vision ist eine Verdinglichung von Finsternis und tiefschwarzem, krebswucherndem Pessimismus. Wenn er nicht mit einer seiner metallenen Bands der Menschheit die Lichter ausknipst, greift er nebenher auch mal zur Akustischen, bereitet seinen Zuhörern eine Verfinsterung am Lagerfeuer und zieht sie in eine alptraumhafte Welt aus hoffnungsloser Trostlosigkeit, ohne Aussicht auf eine Zukunft. Da hilft es auch nicht viel, wenn er seinen Neurosis-Buddy Noah Landis und Musiker-Bekannten Greg Dale, die sich zusammen The Road Home nennen, ins Boot holt: Es herrscht tiefstes Dunkel auf "The forgiven ghost in me".
In der Folge entsteht auch zwischen jeder Zeile von Kellys Lyrics, die er mit einer Stimme haucht, als sei er soeben aus Grabesfeuchte emporgekrochen, ein Raum aus undurchdringlicher Nacht. Wenn die Meinung Jean Michel Jarres allgemeine Anerkennung finden würde, dass nämlich Musik in den Zwischenräumen zu leben beginnt, dann würde von Kellys Songs nichts als eine unkenntliche Diffusion übrig bleiben. Jeder Ton scheint bei ihm in unendlicher Stille geboren und jede Stille bevölkert wiederum Finsternis. Seine Instrumentierung ist spartanisch. Die morsche Akustik-Gitarre scheint mehr Holzsplitter abzuwerfen, die sich in das Fleisch des Sängers und Hörers bohren, als Töne, die bloß in die Ohren gehen. Wenn dann doch mal ein Ton aus der Stille/Leere geboren wird, so reißt er förmlich aus dem Korpus von Kellys Gitarre, derweil die kalte Schwärze aus den Speakern die Wand herabtropft und jedes Licht in sich einsaugt, ohne Erbarmen. Kelly scheint sich dabei in den spitzen Spänen zu wälzen wie Kinder im Sandkasten.
Was bei "A spirit redeemed to the sun" noch wie schrammeliger, gehandicapter Country um die Ecke kommt, wird spätestens mit "The forgiven ghost in me" zu einem Abstieg, einem Sog, dem schwer zu widerstehen ist. Mit dem grandiosen "Within it blood" lässt sich eine Abwärtsspirale in Slow-Motion mitverfolgen. Die Akkorde schwenken wie Geier über des Hörers Kopf, stürzen hinab und reißen den Boden weit auf. Wenn Kelly die Hölle kommen lassen will, wie im folgenden "We let the hell come", ist hingegen nicht mehr viel vom Hörer übrig, um überhaupt noch etwas auf sich zukommen zu lassen. Es ist erstaunlich, dass dieser Mann mit schlichter Akustik-Klampfe und Stimme eine solche Präsenz aufrecht erhalten kann, die auch über eine Spielzeit von gut 40 Minuten nicht loslässt. Das verdient Respekt.
Nach dem Genuss von "The forgiven ghost" lässt sich fragen, ob Kelly seinem umtriebigen Geist verzeihen konnte. Wenn das hier ein versöhnliches Album sein soll, ist es besser, nicht zu wissen, wie der Neurosis-Gitarrist an schlechten Tagen die Welt sieht. Sobald Kelly musiziert, steht die Welt still. Und das macht auch sein drittes Solo-Album so ausgezeichnet: das Bedrohliche einer Finsternis, die sich durch die Eingeweide wühlt.
Highlights & Tracklist
Highlights
- The forgiven ghost in me
- Within it blood
- The field that surrounds me
Tracklist
- A spirit redeemed to the sun
- The forgiven ghost in me
- In the waking hours
- Within it blood
- We let the hell come
- The sun is dreaming in the soul
- The field that surrounds me
- We burn through the night