Antony & The Johnsons - Cut the world

Rough Trade / Beggars / Indigo
VÖ: 03.08.2012
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 5/10
5/10

Die große Bühne

Wenn es jemanden gibt, der es schafft, zurückhaltenden Bombast zu schaffen, ein mächtiges zerbrechliches Epos, ein starkes Meisterwerk, dessen Schwäche man mit jeder verstrichenen Sekunde spüren kann, ist es Antony Hegarty. So viel sollte feststehen. Diesem riesengroßen Mensch, der beide Geschlechter in sich vereint, der mit einer Stimme singt, die an einen gefallenen Chorjungen erinnert, an jemanden, der das Leid der Welt ebenso gesehen hat wie die Schönheit des Lebens, ist es in all den Jahren mit seiner Band Antony & The Johnsons gelungen, Musik zu schaffen, die andere gerne als Chamber Pop bezeichnen, weil es schwer ist, ein Wort dafür zu finden. Bei Hegarty transportiert nicht die Musik die Emotionen - es ist genau andersrum.

Da verwundert es kaum, dass mit "Cut the world" das erste richtige Livealbum der Band vorliegt, auf dem neben einer beeindruckenden Instrumentierung dank des Danish National Chamber Orchestras vor allem zwei Dinge überraschen: erstens, dass man Hegarty sogar bei dem über sieben Minuten langen Spoken-Word-Vortrag "Future feminism" gebannt zuhört, in dem er von seiner allgemeinen Vorstellung bezüglich des Lebens und der Menschheit über Geschlechtsmerkmale, Religion und Regierung plötzlich beim Dalai Lama und Sarah Palin landet. Zum anderen, dass das Publikum, unüblich für ein Livealbum, kaum wahrgenommen wird. Antony & The Johnsons lassen sich hier nicht feiern oder von außen aufbauschen; der Hörer der CD wird nicht durch Zwischenrufe abgelenkt, wie etwa beim "Skin and bones"-Album der Foo Fighters, als ein übermütiger Fan in der tollsten Stelle von "Everlong" plötzlich "I promise" in die Stille brüllt. Bei Antony & The Johnsons herrscht Zurückhaltung - zumindest beim anwesenden Publikum.

"You are my sister" startet anfangs als fragile Knospe, Streicher untermalen das Erblühen, zum Schluss lässt Hegarty die Blüte nur für einen Moment bewundern, bis er sie theatralisch das Zeitliche segnen lässt. "Epilepsy is dancing" vom 2009er Album "The crying light" bleibt das verhaltene Stück, in der ersten Strophe wird jede Silbe betont, als müsste man sie wie ein rohes Ei behandeln, und doch steigert sich das Stück ab der Mitte zu einer kräftigen Ansammlung verschiedener Blasinstrumente, in der Mitte Hegarty, der die Worte "Oh now I'm dancing, dancing, dancing" singt, als müsse er es sich selbst einreden, damit es auch wahr ist. Oder bleibt. Der Opener und Titeltrack von "Cut the world" nutzt die Bandbreite des Danish National Chamber Orchestras voll aus, der Refrain zerreißt das Herz, und dabei hat das Album kaum angefangen. Dahingegen wird die Intimität eines Songs wie "Another world" gewahrt, nur ganz leise merkt man, wie sich zum Piano die Violinen gesellen, und als man es bemerkt, ist es urplötzlich vorbei.

Deutlich aus der Reihe tanzt "Kiss my name" mit seiner stampfenden, umherschwirrenden, fast verlorenen Melodie, bis Antony & The Johnsons zum Schluss mit "The crying light" ein kleines Highlight unter den anderen zwölf Highlights verstecken. Zunächst vollkommen zurückgezogenen, entfacht es nur für einen merkwürdig kurzen Augenlick sein Feuer, oder eher ein Auffackeln. So kurz, dass man es vermisst, sobald es verstummt, gerade so lang, dass man sich noch daran erinnert, wenn der letzte Song endet. "Twilight" entpuppt sich als düsteres, beinahe gespenstisches Schlusswort und beweist einmal mehr, dass es vielleicht viele eindrucksvolle Stimmen in der Musikwelt gibt, kaum eine davon jedoch so unverwechselbar ist wie die von Antony Hegarty. Ganz am Ende, wenn man Gänsehaut der Traurigkeit und Tränen des Glücks verspürt, hört man das Publikum dann doch endlich, wie es applaudiert, und es ist fast, als möchte man mitklatschen.

(Jennifer Depner)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Cut the world
  • You are my sister
  • Another world
  • The crying light
  • Twilight

Tracklist

  1. Cut the world
  2. Future feminism
  3. Cripple and the starfish
  4. You are my sister
  5. Swanlights
  6. Epilepsy is dancing
  7. Another world
  8. Kiss my name
  9. I fell in love with a dead boy
  10. Rapture
  11. The crying light
  12. Twilight
Gesamtspielzeit: 61:05 min

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