Dirty Projectors - Swing lo Magellan
Domino / GoodToGoVÖ: 06.07.2012
Ein Traum im Traum
Bevor man mit verklärtem Blick und erhobenem Zeigefinger Loblieder auf die Vergangenheit anstimmt und den allgemeinen Verfall von Kunst und Kultur bemängelt, sollte man "Unendlicher Spaß" von David Foster Wallace auswendig lernen oder solange das neue Album der Dirty Projectors hören, bis die Walkman-Batterien leer sind. Denn seien wir mal ehrlich: Mehr Grandezza und Fingerspitzengefühl, mehr Zuckerbrot und Peitsche bekam man selten aufgetischt. Und wenn nun jemand jammert, das sei auch schon alles mal dagewesen, dann stimmt dies auch nur bedingt. Die Dirty Projectors stammen - man ahnt es - aus Brooklyn, und gehören zu jener Gattung Band, die sich nie mit dem Status Quo zufrieden gibt, die immer weiter forscht und drängelt, bis irgendwann aus schiefen Tönen ein fast perfekter Pop-Song wird. Das haben zwar auch schon zig Gruppen vor ihnen gemacht, doch kaum einer anderen gelingt es derart überzeugend, unterschiedlichste DNA-Stränge so kunstvoll zu verknoten. Selten zuvor durften Rock, Pop, Folk, R'n'B, Cola Light und Mentos eine so herrliche wie verhängnisvolle Beziehung eingehen, bei der am Ende alle Blumen im Haar haben und nackt im Seerosenteich schwimmen.
Die Amerikaner sind bei alledem kaum zu fassen, sie wandeln zwischen Populärmusik und Avantgarde, ohne sich jemals wirklich zu entscheiden. Der hypnotische Opener "Offspring are blank" bekommt so beispielsweise Rückendeckung von dystopischen Chören, dazu wummert ein zufriedener, endlos-tiefer Bass. Gestört wird diese unheilvolle Harmonie immer wieder von Gitarren - mal dreckig und verzerrt, mal lockerflockig-akustisch. Zum Schluss gewinnt niemand die Oberhand, weil es auf dem mittlerweile siebten Album der Dirty Projectors um friedvolle Koexistenz, um die perfekte Symbiose geht. Immer wieder stellen die New Yorker bestimmte Instrumente oder Effekte in den Mittelpunkt ihrer fabelhaften Stücke, nur um dann mit Spucke und Kaugummi weitere Elemente hinzuzufügen. Dieses Spiel geht solange, bis der Song in sich zusammenfällt und mit ihm jeglicher Raum verschwindet. Auch das bereits bekannte "Gun has no trigger" ist ein absoluter Anti-Anti-Hit, der aber so leidenschaftlich vorgetragen wird, dass man Angst um die inneren Organe der Vokalisten haben muss. Der 60s-verliebte Titelsong gönnt dem Hörer dann eine kleine Verschnaufpause, die nicht sanfter ausfallen könnte.
Mit "Just from Chevron" tänzeln die Dirty Projectors über die Dächer New Yorks, doch alles ist nur ein Traum in einem Traum in einem Traum: Fallen und aufwachen, fallen und aufwachen, fallen. Und aufwachen. Dazu singen Mastermind Dave Longstreth und seine beiden bezaubernden Sidekicks Haley Dekle und Amber Coffman um ihr Leben, während stoische Handclaps ihren nimmermüden Schlafwandel begleiten. Irgendwann bricht das Stück unter ihren Zehen weg, sie schweben im luftleeren Raum. Also doch kein Traum. Zum kurzen, von Klavier und Drums getragenen "Impregnable question" sollte man hingegen Heiratsanträge machen, schließlich heißt es hier so schön: "You are my love / And I want you in my life." Und das ist natürlich supergut, denn was nutzt einem die visionärste Band, wenn sie einen nicht berührt? Herzlich wenig, oder? Nur gut, dass sich das US-Quintett diesbezüglich keine Blöße gibt und herrlich offenherzig von Liebe und Co. erzählt.
Kurz vor Schluss fährt "Swing lo Magellan" noch zwei kleine, sympathische Highlights auf: Einen Song wie "The socialites", der großzügig Indiepop, R'n'B und Avantgarde zum flotten Dreier überredet, hat Regina Spektor leider auch schon lange nicht mehr geschrieben. Und für das hymnisch-vertrackte "Unto Caesar" würden neun von zehn Brooklyn-Bands in eine Zweizimmerwohnung nach Wanne-Eickel ziehen. Deutlich mehr Beweise benötigt man also nicht: Mit "Swing lo Magellan" übertreffen sich Dirty Projectors selbst. Diese Platte ist zeitlos und raumgreifend, lässt einen tanzen, träumen und toben, klingt unfassbar intuitiv, ohne vor lauter Bauchgefühl gedankenlos zu werden. Hier werden Verbindungen geschaffen, die nicht möglich erschienen und die auch nur in diesen Songs, für jene zwei bis vier Minuten Sinn ergeben. Viel mehr kann in 42 Minuten nicht passieren. Noch nicht.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Gun has no trigger
- Just from Chevron
- Impregnable question
- The socialites
Tracklist
- Offspring are blank
- About to die
- Gun has no trigger
- Swing lo Magellan
- Just from Chevron
- Dance for you
- Maybe that was it
- Impregnable question
- See what she seeing
- The socialites
- Unto Caesar
- Irresponsible tune
Im Forum kommentieren
saihttam
2015-10-08 13:00:06
Bitte Orca ist so grandios. Dieses Gitarrenspiel, hach. Man muss sich sicherlich drauf einlassen, das hat bei mir auch gedauert, aber für mich ist es schon stärker als Swing Lo Magellan. Hier packen mich nicht alle Songs in dem gleichen Maße. Sie wirken teilweise schon zu gewöhnlich, also für Dirty-Projectors-Verhältnisse. Aber so oder so, ein neues Album wäre auf jeden Fall wünschenswert.
Mixtape
2015-10-08 08:35:14
Bitte Orca halte ich für eine Schippe stärker, aber großartig ist diese auch.
Von den Soloprojekten der Mitglieder gefallen mir die Alben von Nat Baldwin und Glassghost am besten.
Demon Cleaner
2015-10-08 08:18:05
besonders bei einem wie fler der 3 alben im hahr raushaut kann ich nur lachen
Ich glaube, Flers Alben wären auch kacke, wenn er nur alle 5 Jahre eins rausbringen würde. ;-)
Die hier ist meine liebste von den Projectors. Na gut, eigentlich für mich die einzig durchgängig hörbare.
Mixtape
2015-10-08 06:47:58
David Longstreth hat für das neue Album von Joanna Newsom arrangiert. Und Olga Bell bringt auch eine neue EP heraus.
Aber ja, ich würde mich auch sehr über ein neues Album der Dirty Projectors freuen.
Kevin
2015-09-09 01:05:22
Auf jeden Fall gibt es mit "The expanding flower planet" jetzt ein Album von Angel Deradoorian.
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