
Skilla - To our mums and dads, brothers and sisters, friends and lovers
Stereoflex / ZebralutionVÖ: 08.06.2012
Mehr Punk als Punk
Es gilt, sich folgende Ausgangssituation vorzustellen: die Decemberists hätten sturzbetrunken in einer schnapsseligen Nacht Karen O. von Yeah Yeah Yeahs mit drei Lines in der Nase zum Jam ins Studio eingeladen, derweil Björk und PJ Harvey auf einem Tisch tanzend einen Chor anstimmen, dessen Tischbeine Norah Jones und Shirley Manson im Massagesessel ansägen. Dies mag absurd klingen, es lässt sich damit aber ein gutes Bild der Musik Skillas gewinnen. Das kleine Gedankenspiel jedoch fasst nicht einmal die Hälfte der Referenzen, welche die fünf Schwedinnen von Skilla wahnwitzig kombinieren. So beispielsweise in dem Höhepunkt des Albums, "Recycling". Es wird eine solche abgehangene Coolness zelebriert, dass selbst einem Dave Grohl die Haare vor Neid ausfallen. Und das mit einem der smartesten Mundharmonika-Soli seit langem. Hier ist neben den überbordenden Hörwerten mitunter auch subtile Rezeption angesagt, um jede Nuancierung erfassen zu können. Diminutive und Verniedlichungen haben dabei keinen Raum. Vielmehr gehen die Schwedinnen mit ordentlich Riot-Grrrl-Impetus zu Werke.
Die Brust raus, den Bauch eingezogen, alle Instrumente auf Brummschädel gestimmt, lassen Skilla nicht nur Hintern wackeln, sondern treten gleich zwei Mal kräftig in diese rein. Die Kompositionen bestechen dabei allesamt durch eine kristalline Kombinatorik und erzeugen in ihrem Arrangement in jeder Sekunde unverkennbare Eigenständigkeit. Labile Geigen im düsteren Folk von "Seven seas", die seekrank mit kleinem Pianoballast die Reling hinabzustürzen drohen, um vom knackig modifizierten Breakbeat von "Stranded" wieder aufgefangen zu werden, während der Refrain mit weiten Armen windschiefe Gesangshooks in eingängigen Melodien umarmt.
Überhaupt sticht Frontfrau Nina Christensen mit ihrer leicht überreizten, exzentrischen Gesangsleistung heraus. In ihrer emotional-theatralischen Stimmbreite klingt sie, als wolle sie Keira Knightleys Darbietung der Sabina Spielrein in David Cronenbergs "Dunkle Begierde" in ein auditives Methodacting transponieren. Christensen gelingt dabei das Kunststück, in keinem Moment zu einer Selbstparodie zu verkommen. Stilsicher pendelt sie zwischen Einweisungsschein und Zerbrechlichkeit. So vom treibenden "Summer in december" hin zum fragilen, kammerspielartigen "Australia", dem sich "Save from myself" mit klagender Ausschließlichkeit anschließt. Christensen beherrscht sämtliche Gefühls-Artikulationen im Schlaf und ist sensibel genug, zu wissen, wann sie sich dem Song zuliebe zügeln muss. Hier spielen die fünf Damen zudem alle ihre Stärken aus. Vor allem ihr einnehmendes Talent, große Lieder zu schreiben, deren Kern ohne eine Spur Sentimentalität XL-Emotionen erzeugt. Bei Skilla hängen die Eier eben tiefer als bei Fred Durst die Baggy Pants, auch ohne dass die Damen peinlich auf dicke Hose machen müssten.
Dieses Damen-Quintett aus Schweden ist mehr Punk, als es die Etiketten Indie-Rock, Indie-Pop, Folk-Pop oder Folk-Rock erlauben. Mit ihren bereits 2009 aufgenommenen Songs wollen Skilla nun endlich die Fühler in hiesige Breitengrade ausstrecken. Dabei fungiert ihre Musik ähnlich einem Kaleidoskop: Diverse Stile werden zu einem neuen Farben- und Formenspiel irisierenden Ausmaßes gebrochen. Zu gewieft für große Bühnen und in ihrer übersteigerten Vehemenz zu groß für die Pubs. Zu weit gefächert, um sich feuilletonistischen Silauflagen zu beugen. Ein Zwischen-den-Stühlen-Positionieren mit nicht ausschließlich Volltreffern, aber absolut mit Gusto. Dabei faszinierend schön und ergreifend ehrlich. Das geht auch ohne Hardcore.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Stranded
- Australia
- Save from myself
- Recycling
Tracklist
- Seven seas
- Stranded
- Tragic song
- Summer in december
- Australia
- Safe from myself
- Recycling
- Sun in the end of today
Referenzen