Linkin Park - Living things
WarnerVÖ: 22.06.2012
Maßgeschneidert
Die Vorgeschichte zu "Living things" ist Legende. Phoenix, Arizona, Anfang bis Mitte der 1980er Jahre: Wenn der junge Chester Bennington abends mit dem Zähneputzen fertig ist, sich ins Bett legt und seinen Lieblings-Teddy in den Arm nimmt, gehen die Lichter aus. Was der damals nicht mal 10-jährige Chester nicht weiß: Sie werden demnächst für lange Zeit nicht mehr angehen. Die Ehe seiner Eltern siecht gerade vor sich hin und wird bald zerbrechen, Bennington wird von einem Freund der Familie sexuell missbraucht werden und später eine Kokainsucht stillen müssen. Danach wird der damals kleine Chester Jahre mit sich selbst kämpfen und mehrere Bands gründen und brauchen, um wieder obenauf zu sein. Eine davon ist Linkin Park. Wer heute, knapp 30 Jahre später, deren neues Album "Living things" auspackt und im Booklet schmökert, stößt auf eine Dankesliste, in der mehr Familienangehörige und Freunde liebkost werden, als auf eine Gästeliste der Cosa Nostra passen. Und wer danach die Platte auflegt, läuft bald in die Arme von Musik, die vertraut wie die Stimme von Lebensabschnittspartnern klingt. Das ist kein Zufall. Zu einem Teil sicherlich Kalkül. Vor allem aber: ein Lebenselixir.
Lassen wir die Synthie-Fiepserien, hektischen Turntable-Scratches und Elektrobeats auf "Living things" die kaum wahrnehmbaren Alibi-Variationen altbekannter Sounds sein, die sie sind - und sagen, wie es ist: "Living things" ist eine Nummer-Sicher-Platte einer Band, die schon immer eine sichere Nummer gewesen ist. Statistisch gesehen könnte fast jeder Deutsche eine Platte von Linkin Park besitzen: Insgesamt 70 Millionen gingen davon über die Ladentheke. Sogar die Brieftasche jedes Bandmitglieds dürfte Uli Hoeneß' Festgeldkonto wie eines dieser hoffnungslosen Euro-Rettungspakete aussehen lassen. Es ist also leicht wie eine Runde Schach gegen einen Zweijährigen, Linkin Park die schlechtesten Absichten statt die bestmögliche Erfüllung eines Jungstraums von der überlebensgroßen Rockband zu unterstellen. Die erste Single "Burn it down" macht es noch einfacher: Festgezurrt zwischen einem Synthesizer und der dazugehörigen Hook steuern Linkin Park zielgerichtet auf einen ihre wohlbekannten Mitgröl-Refrains zu, lassen zwischendurch Mike Shinoda seine ungefährlichen Raps abspulen, nehmen für das letzte Break noch mal ein wenig Lautstärke aus der Nummer, um anschließend mit Vollgas und Benningtons Fast-aber-nie-richtig-Geschrei dorthin zu fahren, wo's noch nie richtig wehtat und weh tun wird: ins Prime-Time-Programm der Öffentlich-Rechtlichen und auf die iPod-Playliste von stockkonservativen Lokal-Politikern gleichermaßen. Alles wie gehabt.
Auch diesmal werden Kritiker die ein oder andere Vorgeschichte zu "Living things" zurecht nicht als Entschuldigung durchgehen lassen. Sie werden mit Vorsatz verpassen und überhören, wie Linkin Park ihren Song "Victimized" in einen kleinen Brecher verwandeln oder in "Roads untraveled" erst einen auf Folksong machen, bevor sie es sich im konventionellen Rockstrukturen wieder gemütlich machen. Zugegeben: Lange bevor das passiert, hat sich "Living things" bereits in einer scheinbaren Endlosschleife verrannt. "Lost in the echo" sowie "In my remains," die beiden Vorspiele vor der Single "Burn it down", ticken nicht anders als selbige - und sind damit nicht alleine. Sie variieren höchstens Tempo, Melodien, Akkordfolgen. Dabei ist es nur konsequent, dass man gut die Hälfte dieser Platte mit all den anderen Radiosongs von Linkin Park verwechseln könnte, die noch immer Großraumbüros und Diskotheken beschallen.
Denn: Linkin Park sind auf "Living things" kein bisschen in Hochform, aber hörbar in ihrem Element. Shinoda darf während "Lies greed misery" seine Zeilen wieder auf kleinste gemeinsame Nenner reimen, die Band eine Weltuntergangs-Ballade wie "Powerless" ohne Folgeschäden an Jedermann bringen und Bennington in mit grobem Gerät gepinselten Bildern auf der ganzen Platte Beziehungen gleich reihenweise meucheln und seine Vergangenheit aufarbeiten, ohne dafür auf die Couch zu müssen. Zudem ist es nicht bloß lukrativ, sondern auch logisch, dass sich Linkin Park in ihre Komfortzone zurückziehen. Sich ein Schneckenhaus bauen, in dem jeden Tag der gleiche Song läuft und in dem zu jeder Minute eine vertraute Schulter wartet. Eine, die man nicht mehr loslässt, an die man sich anlehnen kann, wenn die Lichter verlöschen und alles vor die Hunde geht. Vor die Hunde gegangen ist bei Bennington schließlich damals schon genug.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Lost in the echo
- Castle of glass
Tracklist
- Lost in the echo
- In my remains
- Burn it down
- Lies greed misery
- I'll be gone
- Castle of glass
- Victimized
- Roads untraveled
- Skin to bone
- Until it breaks
- Tinfoil
- Powerless
Referenzen
Spotify
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