Chromatics - Kill for love
Italians Do It Better / Al!veVÖ: 29.06.2012
Langzeitarbeitsdosis
Hätten Chromatics "Kill for love" studiert, sie wären wohl Langzeitstudenten gewesen. Aber ambitionierte. Stimmen die Angaben von Multiinstrumentalist und Produzent Johnny Jewel, sind sechs gemasterte Versionen dieses Albums entstanden, mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten, divergierender Ausrichtung und Abweichungen in der Tracklist. Ein jahrelanges Hin und Her. Neben den überquillenden Mülleimern mit fertig abgemischten Songs überlebten denn doch einzelne Titel den Prozess. Angeblich waren es 36, die Jewel auf 16 Tracks eindampfen musste. Eine nervenzehrende Selektion und doch das wohl vollste Album, was der Plattentests.de-Redaktion anno 2012 bislang auf den Tisch gelegt wurde: knapp 80 Minuten auf einer CD. Diese Streber. Exmatrikulation erreicht, und eine starke Platte obendrein.
Von der ursprünglichen Besetzung der Band aus Portland ist nur noch Gitarrist Adam Miller übrig. Mit der Formation änderte sich auch der Klang. Auf "Kill for love" finden sich sodenn auch keine punkigen Anschläge mehr, stattdessen modifizierter Italo-Disco, Dream- und Synth-Pop, Shoegaze, Ambient und blank gezogener New Wave. Was Chromatics können: das Interesse für weitere Veröffentlichungen von The XX mit "Kill for love" abflauen lassen, weil sie interessanter sind. Was Chromatics nicht können: sich kurz fassen. Ohne ewig gestrig zu erscheinen, kramen sie für acht Minuten in "These streets will never look the same" Auto-Tune noch einmal aus und widerstehen konsequent den Loop-Verlockungen. In "Broken mirrors" spielen Tränen Metallophon und changieren dabei zwischen Minimal, Ambient und Deep-Funk - auf sieben Minuten.
"Was zur Hölle hat dann eine Gitarre auf dem Albumcover zu suchen?", mag sich dann manch einer fragen. Nun, das lässt sich anhand des Openers beispielhaft erklären. Ein Cover. Neil Youngs "Hey hey, my my" erfährt in "Into the black", wie ein Drosselungsmotor funktioniert. Und doch ist beiden Versionen die E-Gitarre als prägendes Instrument gemein. Bei Young als energischer Antrieb, bei Chromatics als schwirrender The-Cure-Monolith. Daher passt das Albumcover von "Kill for love" durchaus und greift obendrein mit dieser bunt schimmernden Benommenheit und dem Verlust der Konturenschärfe auch ein wenig Atmosphäre dieser Platte auf.
Chromatics vertrauen neben einer omnipräsenten E-Gitarre auf nebulöses Knistern. Und sie legen einen Lo-Fi-Film über die Chiffrierung elektronischer Klangerzeugnisse, die unbedingt notwendig sind für Rhythmik, Melodie und als Auffangkörper für warme Pianotöne oder selektive Cello- oder Violinenarbeit. Das Quartett arbeitet schließlich intensiv zuvorderst an der Stimmung des Albums, und trotzdem ploppen dabei Hits hervor. "Kill for love", "Back from the grave", "The page", "Candy" oder "At your door". Allen voran aber groovt das drängelnde und zeternde "Lady" wie Sau. Man kann Chromatics nur einen Vorwurf machen: 80 Minuten Spielzeit sind 20 zuviel. Es ist zwar gemein, nach langer Arbeit den Ertrag kürzen zu wollen, soll aber nicht mehr heißen, als dass uns Chromatics noch mehr gäben, gäben sie uns davon etwas weniger.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Into the black
- Kill for love
- Lady
- Dust to dust
- At your door
Tracklist
- Into the black
- Kill for love
- Back from the grave
- The page
- Lady
- These streets will never look the same
- Broken mirrors
- Candy
- The eleventh hour
- Running from the sun
- Dust to dust
- Birds of paradise
- A matter of time
- At your door
- There's a light out on the horizon
- The river
Referenzen
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