Arjen Anthony Lucassen - Lost in the new real
InsideOut / EMIVÖ: 20.04.2012
Zier der Zukunft
Die Zukunft ist auch nicht mehr das, was sie mal war. Jedenfalls als Reiseziel. Früher genügte eine beherzte Beschleunigung eines geringfügig modifizierten DeLorean auf 88 Meilen pro Stunde, heutzutage muss es schon eine amtliche Kryokonservierung sein. Zumindest - nimmt man einmal die Story von "Lost in the new real" als Hintergrund - im Falle eines gewissen Mr. L., der sich mangels Heilungschancen einer tödlichen Krankheit für das ein oder andere Jährchen einfrieren lässt, um dann irgendwann in der Zukunft kuriert werden zu können. So weit, so abgedroschen.
Arjen Anthony Lucassen wäre allerdings nicht der Science-Fiction-Liebhaber, der er nun einmal ist, würde nicht sein Protagonist nach erfolgreichem Auftauen von einem gewissen Dr. Voight-Kampff, sinnigerweise in kleinen Intermezzi von Rutger Hauer gesprochen, auf die neue Welt vorbereitet. Klingt nach einem abgepfiffenen Plot seines Projekts Ayreon? Ist es eigentlich auch. Nur zog Lucassen es dieses Mal vor, auf die bei Ayreon üblichen Bataillone an Gastmusikern zu verzichten und sich nahezu komplett solo auszutoben.
Was dabei tunlichst vermieden werden sollte, ist die Vorstellung, der Backgroundgesang könne doch von seiner langjährigen Co-Sängerin Floor Jansen stammen oder jener Refrain vom ansonsten unvermeidlichen Damian Wilson. Tut es nicht. Denn Lucassen gelingt es ganz vorzüglich, zwar nach wie vor mächtige Breitwandsounds zu erzeugen, aber dennoch vieles vom zuletzt grenzwertigen Bombast Ayreons zu entfernen. So entstehen dann eben Songs wie das fluffige "Pink Beatles in a purple Zeppelin" oder die augenzwinkernde Beatles-Hommage "When I'm a hundred sixty-four".
Die größte Überraschung ist jedoch, dass Lucassen im Vergleich zu früheren Platten nicht nur als Multi-Instrumentalist, sondern auch als Sänger durchaus überzeugt - zumindest setzt er den bisweilen wilden Ritt durch Metal, Folk, Prog und Pop ohne große Schwierigkeiten adäquat um, wie gerade am überlangen Titeltrack deutlich wird. Wie gut die Platte allerdings wirklich ist, zeigt der zweite Tonträger: Das, was hier als "Outtakes" bezeichnet wird und im Vergleich zum Rest "nur" gut ist, landet bei anderen Bands problemlos im normalen Album-Kontext. Und die Coverversion von "Welcome to the machine", die das ohnehin nicht gerade vor Herzenswärme strotzende Original in klirrende Industrial-Kälte stürzt, ist schlicht brillant.
Bekannt ist, dass Arjen Anthony Lucassen seinen einzelnen Projekten ziemlich stringent Sounds und Album-Konzepte zuordnet - sei es der überbordende Bombast von Ayreon oder der Space-Metal von Star One. Weniger bekannt ist, dass dies mitnichten das erste Album unter eigenem Namen ist - nur war 1993 "Pools of sorrow, waves of joy" das Vinyl der Pressung nicht wert. "Lost in the new real" hingegen kann es trotz einiger kleinerer Längen und einer ziemlich verunglückten Version von Frank Zappas "I'm the slime" zum Schluss problemlos mit den großen Werken Ayreons wie "Into the electric castle" aufnehmen. Manchmal kann Bescheidenheit doch eine Zier sein.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Pink Beatles in a purple Zeppelin
- When I'm a hundred sixty-four
- Lost in the new real
- Welcome to the machine
Tracklist
- CD 1
- The new real
- Pink Beatles in a purple Zeppelin
- Parental procreation permit
- When I'm a hundred sixty-four
- E-Police
- Don't switch me off
- Dr. Slumber's eternity home
- Yellowstone memorial day
- Where pigs fly
- Lost in the new real
- CD 2
- Our imperfect race
- Welcome to the machine
- So is there no God?
- Veteran of the psychic wars
- The social recluse
- The battle of evermore
- The space hotel
- Some other time
- You have entered the reality zone
- I'm the slime
Referenzen
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