Jacques Palminger - Jzz & Lyrk

Staatsakt / Rough Trade
VÖ: 09.03.2012
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10
8/10

Ist anders

Vielleicht hätte Jacques Palminger einfach auch ein Buch schreiben sollen. Denn während seine beiden Studio-Braun-Kollegen Heinz Strunk und Rocko Schamoni es als Autoren inzwischen längst in eine mittlere bis große Öffentlichkeit geschafft haben, gilt Tausendsassa Palminger vielen - natürlich zu Unrecht - immer noch nur als "der Dritte" der Telefonstreich-Anarchisten. Dabei hat der gebürtige Münsterländer eine Menge mehr vorzuweisen: Als Schlagzeuger der Cow-Punker The Waltons und später auch bei der deutschen Punk-Institution Dackelblut tankte er künstlerische Subversion, mit Studio Braun öffnete er dem Wahnsinn die Tür zum Humor, und mittlerweile ist er auch als Schauspieler in Filmen und Theaterproduktionen sowie als Hörspielautor aktiv.

Kennen muss man Palminger aber zuallererst als Humoristen mit Musikertalent - die virtuose Boxer-Beschimpfung "Die 'Henry' Maske" oder sein Debüt "Mondo Cherry" von 2008 sind Monumente der hintergründigen Lachkultur, auf denen er zu dezent arrangierter musikalischer Untermalung poetische Texte zwischen soziologischer Analyse, Wahn und Witz spricht. "Jzz & Lyrk" verfeinert dieses Konzept noch, indem der Humor-Dandy Palminger statt über Dub-Rock nun über wohltemperierten Jazz vorträgt und damit auch gleich noch an die dem Albumtitel entsprechende Studenten-Tradition der 50er-Jahre anknüpft - "auf den Pfaden von Serge Gainsbourg und Manfred Krug", wie er selbst sagt. Und das tut er atemberaubend stilsicher.

"Jzz & Lyrk" beginnt als entrückter Fiebertraum: Zum melancholischen "Gedächtniskonzert" lässt Palminger sich auf 41 Grad erhitzen, stellt seine Band - das 440 Hz Trio, angeführt von Ex-Die-Sterne-Keyboarder Richard von der Schulenburg - als typhuskrank vor, und Frauen werden schwanger von einem Sud aus Schlüsseln, bevor schließlich die ganze transzendente Poesie in das "schönste Lied der Welt" mündet. Das folgende "Bittermandel & Salat" ist zwar zackiger hingejazzt, klingt inhaltlich aber noch stärker nach einer surrealen LSD-Erfahrung: "Alles riecht nach Ziegenpeter / Wunschfäden verstopfen jeden Gedanken / Ich muss lachen über Stühle / Mir wird schwindelig in den Lenden." So schön abgehoben wird es danach nicht mehr, aber mit der schwülstigen Barjazz-Romanze "Que reste-t-il" leitet Palminger immerhin seine Angst vor französischen Frauen kulturgeschichtlich sehr schön her.

Während "Mein Schiff" oder "Stadtpark" danach inhaltlich unspektakulär bleiben, sich aber musikalisch und atmosphärisch sehr stimmig präsentieren, trumpft "Mantra" wieder auf: Im selben Augenblick artikuliert Palminger hier eine künstlerische Selbstbestimmung, den Ablaufplan eines seiner Konzerte und eine Ironisierung sämtlicher Motivationstrainer, die sicher auch "die Ja-Straße nicht verlassen" würden. Den krönenden Abschluss gibt es zu Cool Jazz mit dem "Trio von ausnehmender Hässlichkeit": In bester Heinz-Strunk-Tradition seziert Palminger absurd komisch und brutal ehrlich ein saufendes Kneipen-Trio, bis man jede fettige Hautpore, überschminkte Lippe und schlecht tätowierte Wade vor sich zu sehen glaubt. Und wenn Palminger zuvor mit durchgestreckter Wirbelsäule Dr. Albans "It's my life" (!) ohne Gnade in einem deutschen Sprachstück über treibendem Jazz als intellektuelles Flachland entlarvt, ist das wie das ganze Album ein schräger Triumph des guten Geschmacks. Und der wäre in einem Buch gar nicht möglich gewesen.

(Dennis Drögemüller)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Gedächtniskonzert
  • Bittermandel & Salat
  • Trio von ausnehmender Hässlichkeit

Tracklist

  1. Gedächtniskonzert
  2. Bittermandel & Salat
  3. Que reste-t-il
  4. Mein Schiff
  5. Mantra
  6. Stadtpark
  7. Es ist mein Leben
  8. Verkaufen
  9. Trio von ausnehmender Hässlichkeit
Gesamtspielzeit: 42:39 min

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