Revolver - Let go
Delabel / EMIVÖ: 09.03.2012
Kammer-Chamäleon
Shoegaze. Chillwave. Retro-Lo-Fi-Post-Grunge-Techno. Schon klar, die Musikwelt braucht ihre Genres. Sinn ist da erst einmal sekundär. Eigentlich nett, dass die französische Band Revolver (nicht mit den lärmigen Namensvettern aus Deutschland zu verwechseln) das eigene Etikett gleich mitlieferte, als sie ihre erste EP 2008 "Pop de chambre" betitelte. Kammerpop. Klingt gut. Dabei schießt es - wie die meisten Genre-Schubladen - am Kern der Sache einigermaßen zielsicher vorbei: Wer wissen will, warum das zweite Revolver-Album "Let go" so ein unverschämt packendes Stück Popmusik geworden ist, der muss nicht unbedingt krampfhaft nach den Henry-Purcell-Einflüssen suchen, von denen die Band erzählt. Auch die jüngere Vergangenheit liefert einige Antworten.
Dass die Medien dennoch so gerne die angebotene Kammer-Karte zücken, wenn sie über "Let go" sprechen, ist durchaus verständlich: Viel gibt es nicht, womit die Lieder sich auf einen Nenner bringen ließen. Die Einflüsse speisen sich aus verschiedensten Dekaden und Stilen, gemeinsam ist nur eins: Alle haben sie kiloweise Pop-Appeal gefressen. Noch im hintersten Winkel versteckt die Band gute Ideen. Verschwenderisch, könnte man sagen - aber wozu geizen, wenn allein die letzten 60 Jahre mehr als genug Inspiration liefern? Ob nun die gegenwärtige Indie-Entourage als Vorbild für "Losing you" herhält oder "49 states" dem Siebziger-Jahre-Country den Marsch geigt, ist da vollkommen egal.
Revolver klingen so unbekümmert, wie man es von einer Band erwartet, die sich in demonstrativer Bescheidenheit nach einem Beatles-Longplayer benennt - und tatsächlich durchweht auch der Geist der sechziger Jahre einige Höhepunkte des Albums. Der Refrain von "The letter" etwa ist so ein kleiner Geniestreich aus dem Lehrbuch von Brian Wilson, auch beim mehrstimmigen Gesang von "When you're away" sind die Beach Boys plötzlich ganz nah. Das eigentlich erstaunliche an "Let go" ist allerdings: Wenn "Wind song" nur zwei Stücke weiter eindeutige Grüße an die französischen Kollegen von Phoenix sendet, erscheint es dem Hörer als die normalste Sache der Welt. Auch wenn die Referenzen und Assoziationen aus den äußersten Ecken schießen, verbinden Revolver sie zu einem homogenem Album. Starke Melodien können da als Klebstoff wahre Wunder bewirken. Selbst die aus den Achtzigern importierten Synthesizer von "Parallel lives" fügen sich umstandslos ein - und ja, manchmal flankiert auch das ein oder andere Cello, das in frühere Jahrhunderte verweist, einen ziemlich unantiken Tanzflächen-Treiber wie "Let's get together". Also doch Kammerpop? Wenn es sein muss. Aber nur, wenn Joseph Haydns Streichquartette demnächst auch mit Keyboards und Gitarren besetzt werden.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Let's get together
- The letter
- When you're away
Tracklist
- Let's get together
- The letter
- When you're away
- Losing you
- Wind song
- Still
- Cassavetes
- 49 states
- Parallel lives
- Brothers
- My lady I
- Let go
Referenzen
Spotify
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