Mouse On Mars - Parastrophics

Monkeytown / Rough Trade
VÖ: 24.02.2012
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Bitte frei machen

In kaum einer Region musikalischer Aktivität ist die klangliche Halbwertzeit kürzer als in der Elektronik. Der Puls der Zeit klickt unerbittlich, und Beats, die das ignorieren, sind eher veraltet, als sie Bumm-Tschack sagen können. Es ist eine alte Techno-Weisheit, dass man in der Vergessenheit landet, wenn man länger als ein, zwei Jahre weg bleibt. Es könnte jedoch eine Verzerrung im Raum-Zeit-Kontinuum geben, die für Ausnahmen dieser ewigen Regel sorgt: die Kölner Bucht. Schon bei Kraftwerk hat sie für unantastbare Zeitlosigkeit gesorgt. Da darf sich auch die Köln-Düsseldorfer-Connection Mouse On Mars anmaßen, von altersgemäßer Einschränkung befreit zu sein.

Andi Toma und Jann St. Werner hatten zuletzt 2006 mit "Varcharz" die Gehörgänge gewaltsam durchgepustet, und 2007 gemeinsam mit Mark E. Smith als Von Südenfed in "Tromatic reflexxions" noch ein wenig Gift und Galle hinterher gespritzt. Zwischendurch interpretierten sie deutsche Musikgeschichte neu: Sie spielten Stockhausen und remixten die Krautrocker Popol Vuh. Weil nämlich nur wir sechs Jahre Pause von Mouse On Mars' synthetischer Abstraktion hatten, ist eigentlich alles wie immer. Auch auf "Parastrophics" raspeln die beiden Samples, verwirbeln Klangoszillationen und hacken auf Grooves herum, bis alles eine weiche Melange bildet. Störgeräusche gehören da ebenso zu guten Ton wie längst verdrängte Fernsehmelodien und zur Unkenntlichkeit gefilterte Alltagsklänge. Kein Beat kommt unbehandelt davon: Mal zerfließen Geräusche in perkussive Metaebenen, mal werden Beats mit einer Tranchiermesse-App filetiert, mal werden Schläge auf die Snare mit Exponentialgleichungen in überdimensionale Wucht hochgerechnet. Vor Urzeiten nannte man das mal Intelligent Dance Music: Die CD ist rund, damit die Beats die Richtung ändern können.

Während sich auf den Tanzflächen dieser Welt immer neue Schattierungen von Minimalismus und Disco abwechseln, klicken Mouse On Mars immer noch in ihrem eigenes Universum herum. Ausgehend von der krautigen Ambient-Elektronik ihrer frühen Tage nahmen sie später mit ohrwurmigem Tinnitus und Block sprengenden Beats diverse Verästelungen vorweg oder machten diese überflüssig. "Parastrophics" überrascht nun immer wieder mit verblüffend jetztzeitigen Bewegungsanbahnungen, die zwischen vertrackten Glitches und gnadenlosen Bässen stattfinden. Selten war ein Mouse-On-Mars-Album tanzbarer, und dennoch haben die meisten Menschen nicht genug Gelenke, um zu sich dazu passend bewegen zu können.

Als Gebrauchsmusik haben Mouse On Mars auch "Parastrophics" nicht konzipiert. Seinen Charme entfaltet das Album zunächst als gewohnt verspieltes Durcheinander, das gerne ohne Vorbereitung in melodieähnliche Zustände kippt, die natürlich immer nur Bruchteile von Sekunden anhalten. "Chordblocker, cinnamon toasted" stänkert zu Pingpong-Klängen und surrenden Oszillationen gegen dieses eine bekannte Social Network. "iMatch" blubbert sich eins in vergleichsweise entspannter 8-Bit-Euphorie, "Wienuss" flimmert sich über einen trockenen Discobeat bis zur Besinnungslosigkeit. Bei "Baku hipster" fragt man sich, was unerklärlicher ist: der weibliche Gesang oder die Aggression aus defekten Beats und atemlosem Synthgezwitscher. Und das von Laserschwertern und Neonlichtern träumenden "Polaroyzed" darf sogar zum triumphalen Spielkinder-Funk geraten. Deine Synapsen vibrieren in freudiger Aufregung darauf, was als nächstes passiert. Es ist schon seltsam, dass IDM mit ADHS gerade mal einen Buchstaben gemeinsam hat.

(Oliver Ding)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Metrotopy
  • They know your name
  • Syncropticians
  • Polaroyced

Tracklist

  1. The beach stop
  2. Chordblocker, cinnamon toasted
  3. Metrotopy
  4. Wienuss
  5. They know your name
  6. Syncropticians
  7. Cricket
  8. iMatch
  9. Polaroyced
  10. Gearknot cherry
  11. Bruised to imwhimper
  12. Baku hipster
  13. Seaqz
Gesamtspielzeit: 46:13 min

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