Sharon Van Etten - Tramp

Jagjaguwar / Cargo
VÖ: 10.02.2012
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 9/10
9/10

Süßes Gift

Sobald eine Frau eine Gitarre um den Hals trägt, ein paar Akkorde schrammelt und nicht ganz auf Püppi gestylet ist, spricht man gerne von einem "Riot Grrrl". Dass man den kompletten soziokulturellen Überbau schon längst nicht mehr mitdenkt, spielt dabei keine Rolle. Darum begehen wir an dieser Stelle nicht den Fehler und verzichten darauf, Sharon Van Etten mit diesem Trademark zu versehen. Schließlich ist die Amerikanerin genau das Gegenteil hiervon. Sie ist eine leise, zaghafte, zerbrechliche Person. Ein Mensch, der die Introspektive mehr schätzt, als das exaltierte Herausschreien von Befindlichkeiten. Zumindest klingt ihre Musik danach. Auch auf ihrem nunmehr dritten Album "Tramp" spielt die junge Frau ihren verschleppten Indie-Folk, der an die schlaftrunkenen Momente PJ Harveys erinnert. Wye Oak haben zuletzt mit dem tollen "Civilian" eine ähnlich fahrlässige Platte herausgebracht.

Die klangliche Nähe zu Wye Oak könnte auch dadurch erklärt werden, dass deren Frontfrau Jenn Wasner etwas mitgeholfen hat, ähnlich wie Beirut-Mastermind und Multiinstrumentalist Zach Condon. Aufgenommen wurde "Tramp" im Studio von The-National-Gitarrist Aaron Dessner, einem weiteren prominenten Unterstützer. Sharon Van Ettenist kein Indie-Starlet, aber ein Szene-Darling, der man eben gerne unter die Arme greift. Trotz dieser signifikanten Schützenhilfe bleibt Van Ettens Musik dezent, unaufdringlich, entrückt. Zu den zwölf Stücken auf "Tramp" kann man also prima Tollkirschen pflücken, um sie anschließend zu einem köstlich-gefährlichen Gebräu zu verarbeiten. Man merkt: Van Ettens Musik lebt nicht vom Hochgefühl. Dunkelrot schimmern ihre Elegien im fahlen Mondlicht, ihr Gift schmeckt herrlich süß.

Besonders gut ist Sharon Van Etten dann, wenn sie die Bandbreite ihrer Stimme ausreizt, die Instrumentierung im Hintergrund leise schwelt und folglich eine unbehaglich-wohlige Atmosphäre Einzug hält. Dies gelingt Van Etten vor allem in der ersten Albumhälfte, unter anderem beim übermächtig-schönen "Serpents", dem wohl bislang besten Song aus ihrer Feder. Selbst PJ Harvey oder Chan Marshall bekommen einen solchen Song nur an äußerst regnerischen Sonntagen zustande. Auch der tollkühne Opener "Warsaw" sticht heraus: Die räudige Gitarre geht mit Van Ettens Stimme eine verhängnisvolle Liaison ein, das Lied schwebt fünf Meter über dem nebligen Boden. Nach außen hin wirken diese Lieder in sich ruhend, doch man wird das Gefühl nicht los, dass in ihnen eine innerliche Aufgekratztheit wohnt. Düster und dräuend bricht sich das Unbehagen Bahn. Ein herrlicher Gegenentwurf zur Plakativität stereotyper Grrrls. With a riot in an empty heart.

(Kevin Holtmann)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Warsaw
  • Give out
  • Serpents

Tracklist

  1. Warsaw
  2. Give out
  3. Serpents
  4. Kevin's
  5. Leonard
  6. In line
  7. All I can
  8. We are fine
  9. Magic chords
  10. Ask
  11. I'm wrong
  12. Joke or a lie
Gesamtspielzeit: 46:42 min

Im Forum kommentieren

Derp Derp

2014-02-22 15:34:05

Magic Chords ist einfach grandios

Hanno

2012-06-23 12:49:10

Ihre Daytrotter-Sitzung aus 2010 schlummerte zwei Jahre auf meinem Rechner, bevor ich sie dieser Tage gehört habe. Leider jetzt nicht mehr dort kostenfrei zu haben, ist aber fantastisch!

Kevin

2012-02-15 01:01:33

Ja, kommt noch.

Leatherface

2012-02-14 18:54:58

Wird die hier noch besprochen? Klar mein AdJ bislang.

sugar ray robinson

2012-01-27 19:07:32

Wirklich solides Album, irgendwie ehrlich, trocken und ohne Schnickschnack. Fand ihre Stimme schon in The National's "Think you can wait" toll...

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