Anaïs Mitchell - Young man in America

Wilderland / Soulfood
VÖ: 17.02.2012
Unsere Bewertung: 5/10
5/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10
8/10

Wo einst wilde Kerle wohnten

Jede Holzhütte gebaut, jede Nordmanntanne von beachtlicher Größe gefällt: Nein, mit der zunehmenden Urbanisierung der Welt hat es der moderne Mann nicht einfach. Auch das nach dem Vollbart eingerichtete Leben aus Drogen, Sex und Rock'n'Roll kommt bei den Ladies nicht mehr so gut an wie in den Siebzigern. Und wäre es nicht schon Blamage genug, dass im Feuilleton mittlerweile fleißig darüber palavert wird, spricht jetzt auch noch Anaïs Mitchell für die gebeutelte Männlichkeit, die ja bekanntermaßen lieber mit der Gitarre am Lagerfeuer vor sich hin jammert. Auf ihrem fünften Album "Young man in America" packt sie sich diese "tragische" Gestalt der Postmoderne, streift sich verschiedene Charaktere über und formt das Ganze zu einem Konzept. Folk als die letzte Zuflucht für die geschundenen Seelen der Herren der Schöpfung.

Dabei befreit sich Mitchell selten bis nie aus den vorgegebenen Metaphern und Bildern des Genres. Das Blut der Unschuldigen fließt, es geht zu den Bergen und Zuflucht gibt es bei Mutti. Das steigert sich mal in leicht lächerliche Tragik wie "Dyin day", mal in sinnvollere Bahnen wie beim Titeltrack. Als Belohnung darf dann wenigstens ein wenig "Venus" angegafft werden. So richtig viel Bedeutung bekommt Mitchell aber nicht in die ganze Sache. Dafür springen die Perspektiven auf dieser Platte zu schnell. Dafür hängt sie zu sehr an den Konventionen von Folk und auch Country. Einzig die Atmosphäre, die sich über "Young man in America" spannt, ergibt einen Zusammenhang. Mitchells zerbrechliche Stimme schwebt über den von Saiten aufgespannten Abgründen, die das Einzige sind, was zwischen uns und der Wildnis steht. Sanft brechen sich kleine akustische Wellen in "He did" am Rhythmus. Im Titeltrack umschmiegen sich schlussendlich die wenigen Bläser im Einklang mit der Gitarre.

Doch in "Ships" lässt Mitchell die Zügel komplett fallen und irgendwo jault eine Gitarre unerträglich - die Grundlage, damit der Rest sich ins Chaos steigert. Aber nicht wie einst bei Bright Eyes, eine Melodie setzt sich hier nicht durch. Dafür liegen die Schablonen auf "Young man in America" auch zu konventionell, dafür sind die Texte zu simpel gebaut. Ob Mitchell Sehnsucht nach echten Kerlen hat oder die echten Kerle nach Mitchell oder Freiheit oder einfach nur einem kühlen Landbier - keine Ahnung. "Young man in America" bleibt einfach nur ein Spiegel, der in tausend Teile zerbrach. Das Bild dazu muss sich jeder selbst erschließen. Und das in manchen Scherben das Gleiche zu sehen ist mit nur minmal veränderter Perspektive ebenso. Denn Mitchell ist zu ambitioniert, dass das Zufall wäre. Ein Haus, ein Baum und ein Kind - die Welt könnte so einfach sein, allein sie tut einem den Gefallen nicht. Weder Mitchell noch irgendwem sonst.

(Björn Bischoff)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Young man in America
  • Venus

Tracklist

  1. Wilderland
  2. Young man in America
  3. Coming down
  4. Dyin day
  5. Venus
  6. He did
  7. Annmarie
  8. Tailor
  9. Shepherd
  10. You are forgiven
  11. Ships
Gesamtspielzeit: 45:30 min

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