Lana Del Rey - Born to die
Vertigo / UniversalVÖ: 27.01.2012
Zimt und Zucker
Es ist noch eine knappe Stunde bis zum Konzert. Auf dem Weg zum Eingang steht eine Gruppe von circa 15 Leuten in einem Halbkreis. Einige gehen vorbei, andere bleiben stehen und schauen. Im Halbkreis steht Lana del Rey, posiert mit knallroter Ferrari-Jacke, nimmt sich Zeit für Fotos und Autogramme. Es ist einer ihrer ersten Auftritte, seit dem Hype um die bekannten Singles. Später liest man, dass Auftritte stark von ihren Eindrücken vom Publikum abhängen. Und so fühlt es sich an, als habe sie einen Großteil ihres Publikums kennenlernen wollen, um nicht vor ganz fremden Menschen auf der Bühne zu stehen. Das Konzert ist gut, Lana Del Rey schüchtern und bestimmend, unnahbar, kurz angebunden und gut. Sie spielt an jenem November-Abend 2011 in Köln nur einen Teil ihres Albums - es sind jene Songs, von denen man nun sagen kann, sie heben den Durchschnitt von "Born to die" gewaltig an.
Es sind vor allen Dingen jene Songs, die entstanden sind mit Justin Parker. Der rief die gebürtige Elizabeth Grant eines Tages an, um ihr von ein paar Akkorden zu erzählen, die ihn an sie erinnerten - es sind die Pianotöne, die "Video games" zu Harfen und Streichern einleiten und ausklingen lassen und letztlich den Weg ebeneten für einen Megahit. Lana Del Rey, die den Song als repräsentativ für ihre Person sieht, erzählt die Geschichte von ihr und ihrem Ex-Freund, von einer Zeit, als ihre Musikkarriere auf Eis lag, er einem geregelten Job nachging, nach Hause kam und Videospiele zockte. Sie, obwohl Teil der Szenerie, entschwebt als Beobachter, lächelt zufrieden und dürstet gleichermaßen nach mehr.
Und es kam. Mit Riesenschritten, Musik mit diesen alten Bildern aus Hollywood, den 40ern, 50ern und 60ern, von Elvis, alten Comics. Sie dazwischen, die Trailer-Park-Queen und Gangster-Lolita, die sich mit Begriffen wie "Hollywood-Pop" auseinandersetzen muss, weil sie sie einst selbst aus der Not in Umlauf brachte. Sie versinnbildicht ein Retro-Girl längst vergessenen Glamours mitsamt den Ängsten und Abstürzen und dem inkludierten Wunsch, weiterhin Teil der Normalität zu sein. In "Off the races" gelingt Lana Del Rey der Spagat zwischen unterwürfiger Kindlichkeit im Stile Marilyn Monroes im Refrain und reflektiert-dominantem Sprechgesang in den Strophen: "I'm your little starlet, starlet, singing in the garden / Kiss me on my open mouth / Waiting for you". In "Blue jeans" schmachtet sie dann einem Typen hinterher: Die bösen Typen, sie stoßen Lana Del Rey ab, ziehen sie aber mindestens genauso stark an, was "Diet Mountain Dew" nochmals unterstreicht: "Baby, you're no good for me / But baby I want you."
In Interviews wirkt sie oft nachdenklich und bedacht, nicht zu viel zu verraten, über ihre Herkunft, ihre Sozialisation, ihre erste Karriere und das Leben der jungen Lizzy Grant, die mit 18 Jahren nach New York zog und unter jenem Namen eine erste, nicht von Erfolg gekrönte Musikkarriere startete. So bildet sie sich einen Schutzkokon, den ihr der Künstername nicht geben kann und den sie nicht benötigt. In anderen Phasen wirkt sie dann wieder zerbrechlich, sieht sich verbal vernichtenden Attacken ausgesetzt und könnte auf den Rummel verzichten. Da passen Songs wie der großartige Opener "Born to die" hervorragend rein. Ein hölzern humpelnder Hip-Hop-Beat bildet die Grundlage für Streicherkaskaden und eine Weiterentwicklung des "Video games"-Status. Es geht in dem Song neben dem Fakt der Sterblichkeit um das lebenswerte Glück, das Teil dieses Weges ist. Die musikalischen Elemente allerdings kehren auf "Born to die" immer wieder. Popsongs, mit Streichern, die Film-Soundtracks entsprungen scheinen, minimal eingesetzten Samples, dezenten Twin-Peaks-Backings, Hip-Hop-Rhythmiken und -Adaptionen in Form von Sprechgesang.
Das Album erlebt mit "Dark paradise" einen echten Dämpfer. Der äußerst abgedroschene Justin-Timberlake-Timbaland-Beat, gefasst in ein beliebiges Popkorsett, will sich gar nicht erschließen und klingt wie eine unfreiwillige Anfertigung für Sophie Ellis-Bextor. Die Melodiösität von "Summertime sadness" stört Lana Del Reys Versuch, zu militärischen Drums geloopte Silben zu singen: "I got that Su-su-summertime sadness", singt sie und rutscht ein wenig ins Redundante. Es sind mal mehr, mal weniger dicke Schönheitsfehler aus der Zusammenarbeit mit Rick Nowels auf einer etwas abfallenden zweiten Albumhälfte, die den Gesamteindruck letztlich aber nur leicht trüben. Die Zusammenarbeit mit Parker bleibt aber deutlich ergiebiger und besser. Im abrechnenden "Radio" singt sie sodenn auch wieder zuckersüß "Now my life is sweet like cinnamon / Like a fucking dream I'm living in". Hier darf sie "fucking" sagen, anders als beim mittlerweile editierten "Born to die". "Million dollar man" funktioniert, auch wenn die Live-Version, die leicht souliger und jazziger vorgetragen wurde, noch besser passt. Dann steht sie gedanklich plötzlich in dieser verrauchten Bar und will dort auch nicht mehr weg. Den Schleier ihres Huts über den Augen, fragt sie: "Why is my heart broke". Es scheint, als spaziere Lana Del Rey lieber vorsichtig und umsichtig in den Popzirkus, der sie bereits eingekesselt zu haben scheint, rekapituliert Ambivalenzen, und ist vielleicht mehr Mädchen von Nebenan und weniger neugekrönte Ikone, als sich manch einer ihr eingestehen oder aufdrängen will. Das Beste, was ihr passieren konnte, ist ein prima Album und kein alles überragendes Meisterwerk.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Born to die
- Off the races
- Blue jeans
- Video games
- Radio
Tracklist
- Born to die
- Off the races
- Blue jeans
- Video games
- Diet Mountain Dew
- National anthem
- Dark paradise
- Radio
- Carmen
- Million dollar man
- Summertime sadness
- This is what makes us girls
Referenzen
Spotify
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