EMA - Past life martyred saints

Souterrain Transmissions / Rough Trade
VÖ: 03.06.2011
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 9/10
9/10

Das gezeichnete Ich

Bei Erika M. Anderson alias EMA sollte man aufpassen, was man sagt. Unter Umständen reicht schon eine unbedachte Frage wie "Wo tut's denn weh?" oder "Warum so verzweifelt?", und man hat den Salat. Kaputte Beziehungen, seelische wie körperliche Wunden, böse Jungs und zwielichtige Substanzen - darunter macht es die Ex-Frontfrau der amerikanischen Drone-Folker Gowns nicht. Eine Stilbezeichnung, mit der man auch diesem Album zwar einigermaßen gerecht wird. Aber Vorsicht: Schon im verhältnismäßig zarten Alter von 28 Jahren weiß Anderson nur zu gut, dass Musik im Idealfall mehr ist als die Summe ihrer Teile und der erste Eindruck meistens täuscht. Und kann "Past life martyred saints" deswegen ruhig mit absichtlich verrauschtem Geklampfe eröffnen - sie weiß ja, was noch kommt.

Ganz im Gegensatz zum Hörer. Der muss sich in der Folge von einem Album beuteln lassen, auf dem nichts ist, wie es scheint. Was bei "Grey ship" als akustische LoFi-Fingerübung anfängt, wird unvermittelt zum bassigen Stampfer und schlägt gegen Ende in ausgesucht kratzbürstigen Noise-Rock um, zu dem Anderson hypnotische Mantras über Sterberituale auf Drachenbooten singt und bei aller Jenseitigkeit eine chromblitzende Version moderner Folk-Rumpelei halluziniert. EMA ist dabei weder ätherische Elfe noch vorlaute Dröhnzicke, sondern eine bereits vom Leben gezeichnete Zeremonienmeisterin des emotionalen Ausnahmezustandes, die einen in diesen verstörend doppelbödigen neun Songs nie alleine lässt. Sie leidet tapfer mit, zählt ihre Narben und beschwört Dämonen herauf, um sie dann direkt zu exorzieren.

Folk, Noise und Elektronik sind hier lediglich die Auslegeware, auf der Anderson ihr gebrochenes Herz und Erinnerungen an tief empfundene Lustschmerzen drapiert. "California", die zähflüssig schwelende Hasslieben-Ode an ihre Wahlheimat, lässt eine Synthie-Melodie in Zeitlupe von fiesen Drones planieren, "Milkman" stolpert über großartig ungelenken Dance-Beat und schmorende Riffs zum extremen Missbrauch eines Stimmverzerrers - neben den maschinell zerdehnten Gitarrenimprovisationen von "Marked" die härteste Industrial-Attacke auf diesem Album. Und wenn sich dem Stück eine entblößte Liebesklage entringt, kann EMA nur noch waidwund "I wish that every time he touched me left a mark" krächzen. Gegen diesen gespenstischen Moment ist jede Hole-Platte ein Liederabend mit tablettenabhängigen katholischen Organistinnen.

Zum Liederabend reicht es auf "Past life martyred saints" dann auch nicht mehr, obwohl EMA die eine oder andere zierliche Miniatur zwischen diese fantastisch grollenden Brocken schiebt: das gebrochen stolze "Anteroom", die einminütige Acapella-Albernheit "Coda" oder gar "Breakfast", das mit den lieblich gesungenen Worten "Mama's in the bedroom / Don't you stop" womöglich verheißungsvollen Nachtisch in Aussicht stellt. Doch auch das bleibt so unklar wie vieles auf einem Album, das ähnlich endet, wie es begonnen hat: mit der scheinbar unschuldigen Ballade "Red star", die den hübschesten Jungen auf der Welt zunächst umgarnt, ihm aber letztlich zu knurrendem Schlepp-Rock die kalte Schulter zeigt: "I know nothing lasts forever / If you won't love me, someone will." Und es wäre in der Tat ein Jammer, wenn nicht.

(Thomas Pilgrim)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Grey ship
  • California
  • Milkman
  • Marked

Tracklist

  1. Grey ship
  2. California
  3. Anteroom
  4. Milkman
  5. Coda
  6. Marked
  7. Breakfast
  8. Butterfly knife
  9. Red star
Gesamtspielzeit: 37:37 min

Im Forum kommentieren

humbert humbert

2021-09-01 13:48:20

Ich höre das Album gerade wieder. Tolles Werk. Die soll unbedingt mal wieder ein Album rausbringen.

Randwer

2021-05-13 12:51:14

Dann leg ich die Scheibe doch gleich mal wieder auf.

Felix H

2021-05-12 23:13:56

Stereogum-Feature zum 10-Jährigen

An manchen Stellen wäre noch etwas mehr Produktion gut gewesen. Bei "Milkman" denke ich mir immer, der hätte richtig lärmen können, wirkt so etwas zu zahm.
Die ersten beiden Tracks sind natürlich aber göttlich.

The Triumph of Our Tired Eyes

2012-06-13 09:15:12

California ist nicht nur ein Song, das ist mehr ein Lebensgefühl. So verdammt gut.

I'm just 22, I don't mind dying.

2012-03-10 17:49:51

wayne

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