Geoff Berner - Victory party
Mint / Broken SilenceVÖ: 15.04.2011
Dieses Akkordeon tötet Faschisten
Wer Geoff Berner live erlebt, hat keine Fragen mehr. Überall auf der Welt kann man in den Eckkneipen, den verrauchten Bars und den Spelunken mit klebrigem Boden und schummerigen Licht einer Verwandlung beiwohnen: Erst im gepflegten Halbdunkel des Lebens wird aus dem klugen und talentierten Akkordeonisten aus Kanada mit Leidenschaft für die Klezmermusik Osteuropas der "Whiskey Rabbi" - jener begnadete Geschichtenerzähler, der mit Punk-Attitüde und ohne Berührungsängste als Tom Morello des Klezmer-Folk den Staub von der jüdischen Musiktradition klopft und ihr damit eine lange verlorene Lebendigkeit und Kraft zurückgibt. Der linkes Volkssängertum und traditionelle Folklore virtuos mit beißendem Sarkasmus und schwarzem Humor ausbalanciert. Kurz: Vor dessen listig-giftigem Akkordeon-Folk nichts und niemand - ihn selbst eingeschlossen - sicher ist.
Zuletzt veröffentlichte Berner 2008 mit "Klezmer mongrels" das abschließende Album seiner Klezmer-Trilogie, für die er die alte Volksmusik-Tradition auf Reisen nach Rumänien bei alten Meistern studiert hatte. Meist live und ohne Overdubs mit seinem bewährten Trio mit Geigerin Diona Davis und Perkussionist Wayne Adams eingespielt, transportierten die exzellenten Platten zwar Berners musikalisches Genie, konnten die rohe Spontanität und Direktheit seiner Live-Auftritte aber letztlich nie auch nur annähernd einfangen. Es macht also durchaus Sinn, dass der Musiker mit "Victory party" neue Ausdrucksmöglichkeiten erkundet: Seine marodierende Kneipen-Combo hat Berner gemeinsam mit Produzent Josh Dolgin - der ansonsten unter dem Namen Socalled den Kanadiern eine Mischung aus Klezmer und Hip Hop näher bringt - einer perfekt akzentuierten Produktion unterworfen. Das Klangbild ist wesentlich reicher als zuvor, dezent füllen Klavier, Bass und Gitarre die Songs auf, im Vordergrund machen sich vor allem die allgegenwärtige Klarinette und die zweite Geige von Brigitte Dajczer bemerkbar.
Schon der Einstieg ist ein musikalisches Feuerwerk: Die für Berner typische, um einen wahren Kern herum erfundene Geschichte von der "Victory party" zum (Welt-)Kriegsende eskaliert als Folk-Inferno irgendwo zwischen Kaizers Orchestra, einer Nick Cave'schen Mörderballade und einem Yiddish-Drinking-Song. Andere Stücke erkunden stärker als bisher das Potenzial rund um den Klezmer-Markenkern: Im schwer selbstironischen "Wealthy poet" spinnt Berner seine sinnlichen Schleuser-Fantasien nicht nur über Balkan-Sounds, sondern auch über einen elektronischen Beat. "Cherry blossoms" und "Mayn rue platz (My resting place)" dagegen zeigen als traditionstreue Interpretationen jüdischer Melancholie-Balladen, dass der Jude Berner sein musikalisches Erbe keineswegs respektlos behandelt und Provokationen bei ihm nie Selbstzweck sind. Deshalb glücken ihm auch gewagtere Songs wie der unkonventionelle Klezmer-Punk-Diss gegen hippe Vieldeutigkeit "I kind of hate songs with ambigious lyrics" und die musikalisch grenzwertige Inszenierung der Geschichte des Golems von Prag, dem Verteidiger des jüdischen Volkes, als Elektro-Nummer mit Sprechgesang.
Noch wichtiger als das "Wie" sind bei Berner aber seine Geschichten, die ihn der Tradition von Songwritern wie Billy Bragg gleichermaßen als großen Storyteller wie aufrechten Kämpfer gegen Lügen und Unterdrückung zeigen. Während die Erzählung vom fröhlich-gewalttätigen "Laughing Jacky the pimp" die alte Mär vom Kleinkriminellen und seinem Scheitern an den wirklich gefährlichen Leuten neu erzählt, wendet das Slutarded-Cover "Jail" die Chancenlosigkeit der System-Underdogs ironisch in launige Wiedersehensfreude mit den alten Zellengenossen. In "Rabbi Berner finally reveals his true religious agenda" zerlegt der Musiker dann nicht die politischen Zustände humorvoll, sondern rechnet bissig-sarkastisch mit Religion ab, die Wasser predigt und Wein trinkt - nicht ohne damit gleich noch seinen eigenen Status als Ziel kultischer Verehrung ähnlich gehässig zu kommentieren. Das Prachtstück des Albums aber ist "Daloy polizei": Zwei alte Protestlieder radikaler Juden im Russland des frühen 20. Jahrhunderts vereint Berner mit eigenen Strophen zu einem Song, der in etwa die jüdische Folk-Variante von N.W.A.s "Fuck tha police" ist.
So deutlich wie in keinem anderen Stück von "Victory party" spürt man hier seine ehrliche Wut, wenn er von seltsamen Todesfällen in Polizei-Gewahrsam berichtet, deren Untersuchung - wenig überraschend - immer mit der Unschuld der Polizisten endet. Kurz vor dem letzten Refrain lässt Berner den gerechten Hass auf die Staatsgewalt in wenigen zynischen Zeilen kulminieren: "There's lots of good and brave police/ It must be true I guess/ It's brave to work with a murderer sipping coffee by your desk." Das schließt in seiner Deutlichkeit angenehm an Berners inoffizielle Hymne für die Winterolympiade 2010 in seiner Heimatstadt Vancouver, "The dead children were worth it!", an, in der er der Regierung vorhält, ein gerichtsmedizinisches Institut zur Aufklärung von Kindermorden zugunsten der Finanzierung der Winterspiele geschlossen zu haben. Und es macht nachhaltig klar: Schon einzeln sind dem Geschichtenerzähler, dem Klezmer- und Folkmusiker, dem politischen Kopf und dem Humoristen Geoff Berner die Wenigsten gewachsen, in der Kombination aber steht er mit seiner Kunst allein auf weiter Flur. Das ist Fluch und Segen, denn so großartig, so atemberaubend stilsicher und so vielschichtig Berners Musik auch ist: In einer größeren Szene verankert hätte sie sicher längst die Aufmerksamkeit bekommen, die sie unbedingt verdient.
Highlights & Tracklist
Highlights
- The victory party
- Wealthy poet
- Daloy polizei
- Jail
Tracklist
- The victory party
- Laughing Jacky the pimp
- Wealthy poet
- Mayn rue platz (My resting place)
- Daloy polizei
- Jail
- Rabbi Berner finally reveals his true religious agenda
- Oh my golem
- Cherry blossoms
Referenzen
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- Geoff Berner - Klezmer mongrels (11 Beiträge / Letzter am 21.11.2008 - 10:01 Uhr)