La Dispute - Wildlife
No Sleep / CargoVÖ: 18.11.2011
Von Berufswegen
Jordan Dreyer hat weiß Gott wie viele Berufe verfehlt. Kommt er im Song "Harder home" in Fahrt, erzählt er vielsilbig und ohne Punkt und Komma wie ein Lokalpolitiker, der seine Wiederwahl mit allen Argumenten befeuern will, die ihm fünf Minuten vor Wahlkampfschluss noch einfallen. Greift er zu Papier und Bleistift, um Stories wie die aus dem Song "King Park" niederzuschreiben, purzeln ihm mehr Wörter pro Minute aufs Blatt als manchem Bestseller-Autoren. Und greint, flüstert und inszeniert er die Stories auf dieser Platte, die alle von Tod, Mord und Bad Vibrations handeln, schlüpft er passgenau in die Kostüme, die von ihm verlangt werden: mal Opfer, mal Täter - mal Beobachter, mal Erzähler. Keine Frage: Jordan Dreyer hätte in die Politik gehen können, sich am Bücherschreiben versuchen sollen oder sich bei Robert De Niro um dessen Nachfolge als König der Method Actors bewerben können. Auf der Bühne immer in Fahrt, wie ein wilder Stier. Stattdessen ist er Sänger der Postcore-Band La Dispute geworden.
Indes: Die Hauptattraktion auf der neuen La-Dispute-Platte "Wildlife" ist Dreyer nicht. Sondern lediglich ihr Katalysator und ihr Antreiber - das gute Gewissen auf einer Postcore-Platte voller böser Enden. Das an sich sagt schon einiges aus über ein Album, das gekommen ist, um zu bleiben. Um Bandenkriege geht es in einem Song, um Krebs und Mord in anderen. Immer riecht es in der Stille dazwischen ein bisschen nach dem Elend, nach verkrustetem Blut, nach Tränensalz, nach Verzweiflungschweiß, der gleich wieder zurückkehren wird. Eine wuchtige Nummer wie "King Park" spitzen La Dispute so von Szene zu Szene, von Dramaturgie zu Dramaturgie immer weiter zu. Bis vieles am Ende unter ziemlich lautem Getöse und unter Dreyers Schreien zusammenkracht: Song und Struktur - Album und Selbstkontrolle. Smells like Hardcore.
Es ist nichts Neues, dass sich eine Hardcore-Band beim Schreiben ihrer Musik von einem narrativen Konzept leiten lässt. Man könnte getrost seine Sammlung an Fugazi-Raritäten darauf verwetten, dass La Dispute das "Travels"-Album von Defeater so schätzen wie wir. Deren Sänger Derek Archambault verschmilzt dort mit jedem Song stärker mit den Charakteren einer Gute-Nacht-Geschichte, in der es unter anderem um Gewalt in der Familie, um Bruder- und Vatermord geht - beängstigend. "Wildlife" von La Dispute ist kaum freundlicher, erzählt statt eines Schauermärchens gleich ein Dutzend Kurzgeschichten in Hardcore - und ist dabei trotzdem so zugänglich geblieben wie sein Vorgänger "Somewhere at the bottom of the river between Vega and Altair".
Das hat oberflächlich betrachtet wenig Sinn: Immer wieder lassen La Dispute einen frontal auf ihre Takte auflaufen, immer wieder dengeln sie wie bockige Querköpfe auf ihren Gitarren, die wie sie mit Fugazi und At The Drive-In aufgewachsen sind. Klassisches Call-and-Response-Futter für den Pit? Fehlanzeige! Bloß: Irgendwie schleichen sich dann doch immer wieder Publikumsmomente in ihre Musikersongs. Man beachte nur, wie sich aus den Querdenker-Riffs in "Edit your hometown" ein astreines Blues-Solo erhebt - und mit welch Rhythmusgefühl Dreyer und seine Mitmusiker die gesamte Platte lang draufloszappeln, als wollten sie sagen: "Mitmachen! Jetzt!" Beruf verfehlt oder nicht: Das ist stockfinster wie eine Nacht ohne Morgen. Aber bemerkenswert.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Harder harmonies
- Safer in the forest/Love song for poor Michigan
- King Park
Tracklist
- A departure
- Harder harmonies
- St. Paul Missionary Baptist Church blues
- Edit your hometown
- A letter
- Safer in the forest / love song for poor Michigan
- The most beautiful bitter fruit
- A poem
- King Park
- Edward Benz, 27 times
- I see everything
- A broken jar
- All our bruised bodies and the whole heart shrnks
- You and I in unison
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Empfehlung
2012-12-08 21:07:39
Wem La Dispute gefällt sollte vielleicht mal hier ein Ohr riskieren:
http://www.youtube.com/watch?v=C7EeBDO44PM&list=FLhfyjLwTH8FVRQV0ehF0yRg&index=3
Nag Dasty
2012-12-05 21:03:27
"Wildlife" ist ein wirklich gutes Album (8/10). "Somewhere at the bottom..." ist ein unglaubliches Album (10/10).
Ach Vatti...
2012-12-05 21:01:31
Du hast vermutlich vor 20 (30?) Jahren selbst ähnliche Bands angehimmelt, bedenke nur, die waren damals auch erst Anfang 20!!!
Mach Dir nix draus, ich verzeih Dir.
Flo
2012-09-20 22:45:19
Schonmal darüber nachgedacht, dass das niemanden interessiert, was dich nervt? Das mag dir jetzt traurig erscheinen, ist aber leider so...
Vatti
2012-08-10 15:55:05
Oh, was nerven mich diese "Ich bin Anfang 20, tue aber so, als liege die Last der Welt auf meinen Schultern und ich schreie und krächze mich leidend durch total emotionale Texte"-Bands.
Widerliches Gepose von halbstarken Milchbubis. Da ist ja HipHop authentischer.
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