
Tom Waits - Bad as me
Anti / IndigoVÖ: 21.10.2011
Aus dem Fenster mit Konfetti in den Haaren
Im Vorfeld schlich sich das Gefühl ein, dass mit "Bad as me" irgendwas nicht stimmen kann. Die Blogs hyperventilierten, nachdem der Stream gerade ein paar Stunden aufgetaucht war. Meinungsbildung 2.0 eben: Wer sich zuerst meldet, muss recht haben. Und gerade zu Tom Waits kann es ja nur eine Meinung geben. Alles außer Höchstwertung kommt da einem Hohn gleich.
Also nun "Bad as me", bei dem die ewig gleichen Metaphern und Vergleiche bereit liegen wie bei allen anderen Veröffentlichungen von Waits. Whiskey, Mülltonne, Kauz, Zeitlosigkeit, Verlorensein, Kneipe und so weiter. Wem die Reizwortgeschichte so weit reicht, um sich bestätigt zu fühlen, kann nun aussteigen. Dieses Bündel lässt sich für "Bad as me" mehr denn je schnüren, aber Waits bleibt dieses Mal ein wenig mehr an der Oberfläche. Die Aufzählung von "Face to the highway" reiht nur bekannte Dinge aneinander. Waits müht sich, klare Bilder zu finden, was dort aber schnell zu verzerrt, zu schwammig gerät. "Back in the crowd" verhandelt die Sache da schon wesentlich stärker. Allerdings bewegt Waits sich in seinem eigenen Alphabet, was angenehme Worte brummt, aber selten einen richtigen Bruch sucht. Und musikalisch versenkt der Track mal eben die rote Sonne im Meer bei Capri. Die geschlossene Decke des brüchigen Blues von Waits knackt das freilich aber nicht.
Trotz der Verpflichtung von Keith Richards als Studiomusiker kommt die Musik nicht mit Partyhut hinter der Couch hervorgesprungen. Auf dem stärksten Track der Platte fegt diese Kombination aber so ziemlich alle Zweifel zur Seite. "Hell broke luce" startet mit einem stampfenden Rhythmus und zieht die Spannung wie einen alten Kaugummi in die Länge. Der Titeltrack müht sich ebenfalls an den alten Stärken von Waits, der ein Amerika besingt, das es so nicht mehr gibt. Es bleiben die gleichen Gesichter, die gleichen Straßen, die Waits seit jeher sieht und fühlt. Und stets surrt der Schwarz/Weiß-Filter im Hintergrund, der den Bildern diesen Anstrich von künstlichem Alter verleiht, der Rockabilly und R&B an den Blues montiert und verzerrt. "I'll be here through eternity / If you want to know how long / If they cut down this tree / I'll show up in a song", säuselt es in "Last leaf". Und genau diese Beständigkeit macht "Bad as me" gut, aber zugleich vorhersehbar. Das Ende der Welt, wie man es kennt.
"Pay me now" und "Get lost" bedienen die Erwartungen, aber Waits kann mehr. Das weiß man. Im popkulturellem Kontext schwingt sich "Bad as me" zu einer guten Platte auf, im waitschen Kontext schwingt sie sich die Rutsche ein Stück weiter runter. Sie bleibt weit hinter "Real gone" zurück, und Meisterwerke wie "Rain dogs" brauchen gar nicht erst daneben gelegt zu werden; "Bad as me" würde da ständig verlieren. Die hypnotische Wirkung setzt eben erst kurz vor dem Schluss ein. "New year's eve" mündet nach Akkordeon und Gitarre in "Auld lang syne", das ein paar Bläser begleiten. In diesem Moment kommt das Gefühl des Alleinseins wieder hervor. Es drückt Herz und Magen zugleich zu. Der Kopf sinkt in die eigenen Hände, die danach durch die Haare fahren und dort ein paar Schnipsel Konfetti finden. Das Fenster, es lädt zum ersten Mal verführerisch zum Fallen ein. So wie man es kennt. Und auf "Bad as me" eben doch vermisst.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Hell broke luce
- New year's eve
Tracklist
- Chicago
- Raised right men
- Talking at the same time
- Get lost
- Face to the highway
- Pay me
- Back in the crowd
- Bad as me
- Kiss me
- Satisfied
- Last leaf
- Hell broke luce
- New year's eve
Im Forum kommentieren
Deaf
2022-03-16 22:22:09
Die 6/10 war natürlich ein Hohn, keine Frage. Würde mich ebenso für "Talking at the same time" entscheiden als besten Song, der Titelsong und der Opener "Chicago" dürfen für mich auch noch zu den Highlights gezählt werden.
fakeboy
2022-03-16 20:39:20
Was Kingsuede sagt. Talking at the same time ist gigantisch.
kingsuede
2017-10-22 23:37:13
Immer noch wahnsinnig großartig und ein wenig unterschätzt in der Waitschen Diskographie. Insbesondere Talking at the same time und das finale Doppel aus Hell broke luce und New year‘s eve sind absolut hinreißend.
8,5/10
saddle up
2012-01-12 08:29:49
boring shit und nix neues. das gilt natürlich auch für viele von den hier eher abgefeierten alben (wobei der konsens nicht mehr so groß ist, wie vor ein paar jahren). gilt aber ebenso für sonstwo abgefeierte andere platten. tom waits ist nicht heilig (und nicht heiliger als andere), und auch er liefert oft mittelmaß und bad as me berührt das herz kaum. da kann die jazzthetik noch so viel drüber salbadern.
BB
2012-01-11 21:17:09
mit "major album" sind in diesem fall einfach alle 'regulären' erst-vös gemeint. gerade letztes jahr kamen ja dutzende reiusses raus, viele davon mit einem score von 95-100.
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