Mutter - Mein kleiner Krieg
Die Eigene GesellschaftVÖ: 10.10.2011
Aus der Porzellankiste
Kriegerische Gesinnung hat Tradition bei Mutter. Das Artwork ihres Albums "Europa gegen Amerika" zeigte 2001 unter anderem einen George Bush, der sich gerade die Erde einverleibt - kurz vor den Ereignissen des 11. September. Auch innerdeutsch pflegte die Berliner Band den Mund stets voll zu nehmen und diagnostizierte 1993 auf "Du bist nicht mein Bruder", dass das mit dem Zusammenwachsen von West und Ost und den blühenden Landschaften kräftig in die Hose gegangen war. Unlängst hieß es dann auf der ersten Platte seit sechs Jahren "Trinken singen schießen" - dass es nun auf dem in Rekordzeit hinterhergeschobenen Nachfolger tatsächlich nur ein kleiner Krieg sein soll, mag man da fast nicht glauben.
Doch wenn sich eins im 25-jährigen Bestehen von Mutter durchgehend bewahrheitet hat, dann die Tatsache, dass die Band immer genau das meint, was sie sagt - da konnten Tocotronic ihren T-Shirt-Käufern später noch so viele Aufkleber mit dem Slogan "Eins zu eins ist jetzt vorbei" mit in die Tüten packen. Die schmutzigen Wahrheiten, die Sänger Max Müller einem um die Ohren haut, illustrierte die Band mit schleppendem Noise-Rock zwischen stoisch und atonal, was nahezu jedes Album zu einer extrem stachligen Angelegenheit machte. Und jetzt das: "Von dem schönen Schein und dem dummen Sein" eröffnet "Mein kleiner Krieg" als pittoresk klopfende Miniatur mit Synthie-Streichern. Müller singt dazu naiv das Hohelied von Selbstlüge und Versagen und klingt beinahe wie Andreas Dorau. Äußerst putzig - und so wahr, dass es wehtut.
Es bleibt nicht der einzige solche Moment eines Albums, das trotz seines Titels gleich mehrere Friedensangebote auf einmal macht. Das eindeutigste: "Regenwurm", nicht bloß eine kindlich liebeskranke Weltschmerz-Ballade, sondern ein vertontes Heinz-Rühmann-Gedicht. Es scheint, als hätte Kerl Fieser, der Bassist mit dem vielsagenden Namen, erst aussteigen müssen, bis Mutter so eine relative Versöhnlichkeit an den Tag legen. Mit Verspätung kommt dieser kleine Krieg dann aber doch aus der Porzellankiste: "Kanndies" paart dadaistische Textmantras mit zunächst verbreakten, dann hetzenden Blechdrums, zu denen die Gitarren nach ersten Andeutungen im Kriecher "Häuser ohne Augen" erstmals verdammt zornig werden. Und beides steht Mutter richtig gut.
Ebenso wie die in entgeistertem Sprechgesang deklamierten Zeilen über isolierte Individuen und grässliche Hochburgen der Trostlosigkeit. Klar, dass es irgendwann "Der Mensch ist eine traurige Maschine" heißt und Müller durchs Megaphon wütend gegen den aggressiv rotierenden Schlund seiner Band ankeift. Nach kurzem Luftholen folgt dann der dickste Batzen: der fast elfminütige Erdwurm "Stimmen (Kannst Du sie hören)", der quälend verlangsamt zwischen Lärmmonster und nihilistischem Klagelied oszilliert. Der Gipfel der Desillusionierung, das Ende von allem, möchte man meinen. Doch das letzte Wort hat mit "Kleiner Krieg" ausgerechnet eine seufzende Skizze über, nun ja, die Liebe, mit der sich Mutter immerhin auf Waffenstillstand einigen. Kann man ja mal machen, wenn man noch ein trotz allem großartig unbequemes Album in der Hinterhand hat.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Von dem schönen Schein und dem dummen Sein
- Kanndies
- Der Mensch ist eine traurige Maschine
Tracklist
- Von dem schönen Schein und dem dummen Sein
- Häuser ohne Augen
- Regenwurm
- Wie wir waren
- Kanndies
- Wo die Sonne nicht scheint
- Der Mensch ist eine traurige Maschine
- Stimmen (Kannst Du sie hören)
- Kleiner Krieg
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