Georg Zimmermann - Schreibmaschine
MMS / Supermusic / Al!veVÖ: 07.10.2011
Rettet den Grotesksong
Der Protestsong hat es schwer. Vor allem, weil heutzutage im Grunde alles und jeder so okay-hey ist, dass sich niemand mehr groß über irgendetwas aufregt. Allenfalls Ja, Panik oder Die Goldenen Zitronen treffen noch Aussagen wie "Sich dem Abgrund unterwerfen, heißt den Wahnsinn erst begreifen" oder "Bloß weil ich friere, ist noch lang nicht Winter". Georg Zimmermann ist da anders. Der Düsseldorfer tippt nichts ins Smartphone, sondern setzt sich an die "Schreibmaschine", fordert "Du musst Zimmermann werden!" und ist neben wortreichem Songwritertum sicher auch einer guten Party nicht abgeneigt: "Es gibt den Spaß in Flaschen und den Abtransport mit Martinshorn / Dann kommt der trübe Morgen und die Klarheit in Tablettenform." Vom Handwerk mit goldenem Boden auf den der Tatsachen, vom Aufrührer zum Aspirin-Aspiranten.
Gerührt wird stattdessen in der trüben Brühe bizarrer Gesellschaftsauswüchse und in den Drinks, die diese erst erträglich machen. Zimmermann lugt listig hinter die Ecken mit den Heimsuchungen des Alltags, stellt fest, dass von sieben Leben nicht mehr viele übrig sind und entrümpelt seine Facebook-Freundesliste mit selbstdiagnostizierter dynamischer Inkompetenz. Zu einer höchst kompetenten, vielfältig informierten Musik, die den spröden Charme von Element Of Crime ebenso beherrscht wie fiebrige Stromgitarren-Ausbrüche und Indie-Rock auf der Akustischen. Etwa beim federnden Singalong von "Krieg in Kabeln, Spaß in Flaschen" und dem schwer atmenden, vernuschelten Talking Blues "Teufel Miete, Strom & Gas" - zwei Songs, die die musikalischen Eckpunkte von "Schreibmaschine" schon einmal ganz gut umreißen.
Dazwischen geht es auf Entdeckungsreise zu den Grotesken des Nachtlebens und zur eigenen Unzulänglichkeit. Die bizarre Dreiecksgeschichte "Peter, der Wolf & Sergej Eisenstein" ist mit Uptempo-Folk, lauthals skandierendem Nölgesang und schräger Schlusspointe dabei der augenfälligste Hit - und nicht der einzige. "Wenn 7 Null ist" verpufft als breitbeinige Psych-Rock-Moritat in Zigarettenqualm und Selbstzweifeln, die herzzerreißende Lagerfeuermelodie von "Verdrängungen, diverse" verhandelt die Angst des Sängers vor der unwirtlichen Realität. "Zimmermann, feige Sau, bleib doch hier", sagt der Protagonist zu sich selbst - und dass Zeilen wie "Ich hab Angst vor dem Krieg, doch ich will ihn mal sehn" nicht allzu wörtlich zu nehmen sind, sollte man inzwischen mitbekommen haben. Dennoch wurde selten schöner im dunklen Walde gepfiffen als hier.
"Der Trend" stampft zu bockigem Stakkato hämisch mit dem Fuß auf, und "Schneewittchen & die 20 Russen" tanzt einen fidelen Polka-Ringelpiez mit suspekten Teilnehmern, bevor sich "Schreibmaschine" nach moderater Spielzeit mit polterndem Rock'n'Roll verabschiedet. In den kontemplativen Folklore-Momenten würde jedoch vielleicht sogar der junge Bob Dylan anerkennend die dunkle Brille zurechtrücken: Wer sich da auch immer Dylans bürgerlichen Nachnamen für diese gekippten Lieder ausgeliehen haben mag - er soll ruhig so weitermachen. Denn für den allmählich auf dem Aussterbebett liegenden Protestsong sind diese Grotesksongs ein würdiger Ersatz. Abschließend noch ein verkappter schlechter Ratschlag: "Du willst es zu was bringen? Werde Winkeladvokat." Zimmermann wäre allerdings die deutlich bessere Alternative.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Krieg in Kabeln, Spaß in Flaschen
- Peter, der Wolf & Sergej Eisenstein
- Wenn 7 Null ist
- Verdrängungen, diverse
Tracklist
- Krieg in Kabeln, Spaß in Flaschen
- Peter, der Wolf & Sergej Eisenstein
- Teufel Miete, Strom & Gas
- Wenn 7 Null ist
- Alles, was ich kann
- Verdrängungen, diverse
- Der Trend
- Schneewittchen & die 20 Russen
- Teutonia
- Diktatur der geraden Kurven
Referenzen
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